Ausschlussgründe im Vergaberecht
Rechtliche Grundlagen und Praxis
Ausschlussgründe im Vergaberecht als zentrales Steuerungsinstrument
Das Vergaberecht der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland stellt die Ausschlussgründe als zentrales Instrument zur Sicherung von Integrität, Transparenz und Wettbewerbsgleichheit dar. Unter Ausschlussgründen versteht man rechtliche Bestimmungen, die es öffentlichen Auftraggebern verpflichtend oder fakultativ auferlegen, bestimmte Unternehmen vom Vergabeverfahren auszuschließen. Maßgeblich sind insoweit insbesondere die §§ 123, 124 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die in Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU erlassen wurden. Während § 123 GWB zwingende Ausschlussgründe normiert, räumt § 124 GWB Ermessensspielräume ein, um situationsgerechte Entscheidungen zu ermöglichen. Die praktische Relevanz ergibt sich aus der unmittelbaren Auswirkung auf die Teilnahmemöglichkeit von Unternehmen an Vergabeverfahren. Für die Bieter bedeutet dies, dass bereits geringfügige Pflichtverletzungen gravierende Konsequenzen nach sich ziehen können, da ein Ausschluss nicht nur den konkreten Auftrag betrifft, sondern auch Reputationsschäden sowie Folgewirkungen für zukünftige Verfahren nach sich zieht.
Gesetzliche Grundlagen und Systematik der Ausschlussgründe
Die Systematik der Ausschlussgründe im deutschen Vergaberecht orientiert sich am zweistufigen Ansatz des europäischen Gesetzgebers. Die Richtlinie 2014/24/EU unterscheidet in den Artikeln 57 Abs. 1 und 57 Abs. 4 zwischen obligatorischen und fakultativen Ausschlussgründen. Diese Vorgaben wurden durch den deutschen Gesetzgeber mit § 123 GWB (zwingende Ausschlussgründe) und § 124 GWB (optionale Ausschlussgründe) in nationales Recht transformiert. Zusätzlich sind flankierende Regelungen in der Vergabeverordnung (VgV) sowie in der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) enthalten. Der Normzweck besteht darin, einerseits die Teilnahme ungeeigneter oder unzuverlässiger Unternehmen zu verhindern, andererseits den fairen Wettbewerb zu sichern. Der Gesetzgeber verfolgt damit auch präventive Ziele, indem er strafbares Verhalten wie Korruption oder Geldwäsche unattraktiv macht, indem Unternehmen das Risiko eingehen, den Zugang zum öffentlichen Auftragsmarkt zu verlieren. Diese Struktur sorgt für eine einheitliche Handhabung und reduziert die Gefahr divergierender nationaler Regelungen innerhalb des europäischen Binnenmarktes.
Zwingende Ausschlussgründe nach § 123 GWB
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die zwingenden Ausschlussgründe des § 123 GWB, die keinen Entscheidungsspielraum des Auftraggebers zulassen. Der öffentliche Auftraggeber ist bei Vorliegen eines dieser Tatbestände verpflichtet, den Bieter auszuschließen. Hierzu zählen insbesondere strafrechtlich relevante Verhaltensweisen wie die Verurteilung wegen Bestechung nach § 299 StGB, die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB, Terrorismusfinanzierung nach §§ 129a, 129b StGB sowie Menschenhandel nach § 232 StGB. Auch die Delikte des Betrugs (§ 263 StGB), der Geldwäsche (§ 261 StGB) und der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) gehören zu den zwingenden Ausschlussgründen. Auf europäischer Ebene spiegelt dies die Vorgaben von Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU wider. Der Auftraggeber hat in diesen Fällen keine Möglichkeit, den Bieter trotz Verurteilung im Verfahren zu belassen. Damit dient die Norm als scharfes Schwert gegen wirtschaftskriminelles Verhalten und schützt die öffentliche Hand vor der Zusammenarbeit mit unzuverlässigen Marktteilnehmern.
Fakultative Ausschlussgründe nach § 124 GWB
Im Gegensatz dazu steht die Regelung des § 124 GWB, die fakultative Ausschlussgründe vorsieht. Hier erhält der öffentliche Auftraggeber ein Ermessen, ob er ein Unternehmen vom Vergabeverfahren ausschließt. Gründe können etwa gravierende Verstöße gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen, umweltrechtliche Normen oder kartellrechtliche Vorschriften sein. Ebenfalls umfasst sind schwere berufliche Verfehlungen, die die Integrität oder Zuverlässigkeit des Unternehmens in Frage stellen. So kann etwa eine nachgewiesene Manipulation von Referenzen oder die Verletzung von Geheimhaltungspflichten einen Ausschluss rechtfertigen. Dieses Instrument erlaubt es den Auftraggebern, flexibel auf die Umstände des Einzelfalls zu reagieren und die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil v. 3.10.2019 – C-267/18, Delta Antrepriză de Construcţii) betont, dass der Ausschluss nicht pauschal, sondern unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände erfolgen muss. Damit wird ein Gleichgewicht zwischen Schutzinteressen der Auftraggeber und den Teilhaberechten der Unternehmen hergestellt.
Selbstreinigung nach § 125 GWB als Korrektiv
Ein wesentliches Korrektiv im System der Ausschlussgründe stellt die sogenannte Selbstreinigung nach § 125 GWB dar. Unternehmen, die von einem Ausschlussgrund betroffen sind, erhalten hierdurch die Möglichkeit, ihre Zuverlässigkeit wiederherzustellen. Die Selbstreinigung erfordert nachweisliche Maßnahmen wie die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden, die umfassende Aufklärung der Sachverhalte, organisatorische Veränderungen im Unternehmen sowie die Einführung wirksamer Compliance-Strukturen. Der Auftraggeber ist verpflichtet, diese Maßnahmen im Rahmen einer einzelfallbezogenen Bewertung zu berücksichtigen. Die Richtlinie 2014/24/EU fordert ausdrücklich, dass Unternehmen durch ernsthafte Selbstreinigungsmaßnahmen nicht dauerhaft vom Wettbewerb ausgeschlossen werden dürfen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung (BGH, Beschl. v. 18.6.2019 – X ZB 8/19) klargestellt, dass Auftraggeber eine sorgfältige Prüfung vorzunehmen haben und nicht schematisch agieren dürfen. Dieses Institut dient damit nicht nur der Rechtssicherheit, sondern auch der Förderung einer nachhaltigen Compliance-Kultur in der Wirtschaft.
Verhältnis zu vergaberechtlichen Eignungskriterien
Die Ausschlussgründe sind von den Eignungskriterien im Vergaberecht strikt zu trennen, auch wenn beide Institute in ihrer Wirkung auf die Teilnahme am Verfahren vergleichbar erscheinen. Während Eignungskriterien in §§ 122 ff. GWB die fachliche, wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit betreffen, knüpfen Ausschlussgründe primär an unzuverlässiges oder rechtswidriges Verhalten an. Die Vergabekammern haben mehrfach betont, dass ein Auftraggeber nicht über die Eignungskriterien Umstände berücksichtigen darf, die ausschließlich unter die Ausschlussgründe fallen (VK Bund, Beschl. v. 11.1.2021 – VK 2-96/20). Damit wird eine klare dogmatische Abgrenzung sichergestellt. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie einerseits ihre Eignungsnachweise vollständig erbringen müssen, andererseits aber auch sicherstellen sollten, dass keine Ausschlussgründe gegen sie vorliegen oder – falls vorhanden – rechtzeitig durch Selbstreinigung neutralisiert wurden. Diese Zweiteilung stärkt die Transparenz des Vergabeverfahrens und reduziert das Risiko willkürlicher Entscheidungen.
Europäische Vorgaben und Binnenmarktrelevanz
Die Ausschlussgründe besitzen eine unmittelbare Binnenmarktrelevanz, da sie den Zugang zu öffentlichen Aufträgen europaweit steuern. Nach Art. 57 Richtlinie 2014/24/EU sind Mitgliedstaaten verpflichtet, die zwingenden Ausschlussgründe in nationales Recht zu übernehmen, während bei fakultativen Gründen Spielräume bestehen. Die Harmonisierung zielt darauf ab, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, indem Unternehmen nicht in einem Mitgliedstaat ausgeschlossen und in einem anderen ohne Einschränkungen zugelassen werden. Der EuGH hat mehrfach betont, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung sicherzustellen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-178/16, Impresa di Costruzioni Ing. E. Mantovani). Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben konsequent in §§ 123, 124 GWB umgesetzt. Damit ist gewährleistet, dass die deutschen Vergabeverfahren in Einklang mit den europarechtlichen Zielen von Transparenz, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung stehen. Für Unternehmen eröffnet dies den Vorteil, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen europaweit vergleichbar sind und die Planbarkeit von Teilnahmen steigt.
Nationale Rechtsprechung zu Ausschlussgründen
Die nationale Rechtsprechung hat in den vergangenen Jahren maßgeblich dazu beigetragen, die Anwendung der Ausschlussgründe zu konkretisieren und die Rechte von Bietern sowie Pflichten von Auftraggebern zu schärfen. Ein prominentes Beispiel stellt der Beschluss des BGH vom 18. Juni 2019 (X ZB 8/19) dar, in dem der Gerichtshof die Anforderungen an die Prüfung von Selbstreinigungsmaßnahmen näher definierte. Der BGH stellte klar, dass Auftraggeber eine umfassende, einzelfallbezogene Würdigung vorzunehmen haben und sich nicht auf pauschale Zweifel an der Redlichkeit des Unternehmens berufen dürfen. Auch die Oberlandesgerichte haben mehrfach entschieden, dass der Ausschluss von Unternehmen nach § 124 GWB nur dann rechtmäßig ist, wenn eine ordnungsgemäße Ermessensausübung dokumentiert wird. Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 29.4.2020 – Verg 24/19) betonte, dass ein bloßer Hinweis auf eine „schwere Verfehlung“ ohne hinreichende Tatsachengrundlage nicht genügt. Damit wird deutlich, dass Ausschlussgründe nicht als bloße Sanktion, sondern als rechtlich gebundenes Steuerungsinstrument anzuwenden sind.
Anforderungen an die Ermessensausübung
Die Anforderungen an die Ermessensausübung bei fakultativen Ausschlussgründen nach § 124 GWB sind besonders hoch, da das Vergaberecht durch die unionsrechtlichen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung geprägt ist. Auftraggeber müssen nachvollziehbar darlegen, warum sie von ihrem Ermessen Gebrauch machen und ein Unternehmen ausschließen. Dies erfordert eine sachgerechte Abwägung zwischen dem Interesse an einem fairen Wettbewerb und dem Anspruch des Unternehmens auf Teilnahme. Die Vergabekammern haben mehrfach klargestellt, dass eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung zwingend dokumentiert werden muss, um der gerichtlichen Überprüfbarkeit standzuhalten (VK Bund, Beschl. v. 5.3.2019 – VK 2-17/19). Fehlt eine solche Dokumentation, ist die Entscheidung fehlerhaft und im Nachprüfungsverfahren angreifbar. Für die Praxis bedeutet dies, dass Auftraggeber sorgfältige Vergabevermerke erstellen müssen, die eine transparente und überprüfbare Entscheidungsgrundlage enthalten. Nur so kann sichergestellt werden, dass Ausschlüsse nicht willkürlich erfolgen.
Rechtsfolgen fehlerhafter Ausschlüsse
Fehlerhafte Ausschlüsse von Unternehmen haben erhebliche Konsequenzen sowohl für Auftraggeber als auch für betroffene Bieter. Wird ein Unternehmen unrechtmäßig vom Verfahren ausgeschlossen, liegt ein Vergabeverstoß vor, der im Nachprüfungsverfahren gemäß §§ 155 ff. GWB korrigiert werden kann. Die Vergabekammern sind befugt, den Ausschluss aufzuheben und das Unternehmen wieder in das Verfahren einzubeziehen. Dies kann zu erheblichen Verzögerungen des gesamten Vergabeverfahrens führen. Darüber hinaus besteht für Unternehmen die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wenn ihnen durch den fehlerhaften Ausschluss ein messbarer Schaden entstanden ist (§ 181 GWB). Die Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 30.9.2010 – C-314/09, Strabag) hat klargestellt, dass Mitgliedstaaten effektive Rechtsmittel zur Verfügung stellen müssen, um unrechtmäßige Ausschlüsse zu korrigieren. Für Auftraggeber bedeutet dies, dass sie bei der Anwendung der Ausschlussgründe äußerste Sorgfalt walten lassen müssen, um Rechtsstreitigkeiten und finanzielle Risiken zu vermeiden.
Nachprüfungsverfahren als Rechtsschutzinstrument
Das Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB stellt das zentrale Rechtsschutzinstrument für Unternehmen dar, die sich gegen ihren Ausschluss wehren wollen. Die Vergabekammern prüfen in diesem Verfahren, ob die Entscheidung des Auftraggebers im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben stand. Unternehmen haben dabei die Möglichkeit, sowohl die formellen Anforderungen als auch die materiellen Voraussetzungen der Ausschlussentscheidung anzugreifen. Die Verfahren zeichnen sich durch eine hohe Spezialisierung und kurze Fristen aus, sodass Unternehmen umgehend nach Kenntnisnahme des Ausschlusses reagieren müssen. In zweiter Instanz entscheidet das zuständige Oberlandesgericht, sodass eine zweistufige gerichtliche Kontrolle gewährleistet ist. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung (Urt. v. 12.2.2004 – C-230/02, Grossmann) die Bedeutung effektiven Rechtsschutzes betont und klargestellt, dass die Mitgliedstaaten ein System bereitstellen müssen, das eine effektive Durchsetzung der Bieterrechte ermöglicht. Für die Praxis bedeutet dies, dass Ausschlussentscheidungen stets unter der Prämisse einer möglichen gerichtlichen Überprüfung getroffen werden müssen.
Kritische Diskussion der Ausschlusspraxis
In der Fachliteratur und Praxis wird zunehmend diskutiert, ob die bestehenden Regelungen zu Ausschlussgründen einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der öffentlichen Hand und den Rechten der Unternehmen schaffen. Kritiker weisen darauf hin, dass insbesondere die zwingenden Ausschlussgründe nach § 123 GWB kaum Raum für eine differenzierte Bewertung lassen. Auch wenn das Institut der Selbstreinigung Abhilfe schaffen soll, bleibt fraglich, ob der Ausschluss trotz wirksamer Compliance-Maßnahmen stets verhältnismäßig ist. Zudem wird die Gefahr gesehen, dass Auftraggeber die fakultativen Ausschlussgründe zu weit auslegen und damit Unternehmen faktisch vom Wettbewerb ausschließen, ohne dass schwerwiegende Gründe vorliegen. Befürworter betonen hingegen, dass gerade im Bereich der Korruptionsbekämpfung und des Schutzes der Integrität der öffentlichen Verwaltung strenge Regelungen unverzichtbar sind. Der Diskurs zeigt, dass die Anwendung der Ausschlussgründe eine Balance erfordert, die sowohl Rechtssicherheit als auch Flexibilität gewährleisten muss.
Verhältnis zu internationalen Standards
Die Ausschlussgründe im deutschen und europäischen Vergaberecht sind nicht isoliert zu betrachten, sondern stehen im Kontext internationaler Standards. Die Vereinten Nationen haben im Rahmen der UNCITRAL Model Law on Public Procurement Grundsätze für die Bekämpfung von Korruption und unlauterem Wettbewerb etabliert, die ebenfalls Ausschlussmechanismen vorsehen. Auch die OECD hat in ihren Leitlinien zur Integrität im öffentlichen Sektor hervorgehoben, dass Ausschlussgründe ein wirksames Mittel darstellen, um die Einhaltung ethischer Standards sicherzustellen. Deutschland und die Europäische Union bewegen sich somit im Einklang mit internationalen Bestrebungen, die Integrität öffentlicher Beschaffungen zu sichern. Unternehmen, die international tätig sind, profitieren von dieser Harmonisierung, da die Anforderungen an Compliance-Systeme vergleichbar werden und grenzüberschreitend umgesetzt werden können. Damit stärken die Ausschlussgründe nicht nur den Binnenmarkt, sondern auch das Vertrauen in globale Lieferketten.
Reformperspektiven im Vergaberecht
Die Diskussion über mögliche Reformen der Ausschlussgründe konzentriert sich insbesondere auf die Frage der Verhältnismäßigkeit und die Rolle der Selbstreinigung. Stimmen aus der Praxis fordern, dass Auftraggeber mehr Flexibilität erhalten sollten, um im Einzelfall sachgerechte Lösungen zu treffen. Denkbar wäre eine stärkere Differenzierung innerhalb der zwingenden Ausschlussgründe, sodass bestimmte Delikte nur bei wiederholter Begehung oder besonders gravierender Ausprägung zum Ausschluss führen. Zudem wird angeregt, die Vorgaben zur Selbstreinigung in § 125 GWB klarer zu fassen, um den Auftraggebern eine verlässlichere Bewertung zu ermöglichen. Auch auf europäischer Ebene wird darüber diskutiert, ob die Richtlinie 2014/24/EU nachjustiert werden sollte, um einheitlichere Standards bei der Anerkennung von Compliance-Maßnahmen zu schaffen. Für Unternehmen könnte eine solche Reform zu mehr Rechtssicherheit führen, während Auftraggeber von klareren Handlungsleitlinien profitieren würden. Ob sich diese Vorschläge durchsetzen, bleibt angesichts der komplexen Interessenlage jedoch abzuwarten.
Fazit zu den Ausschlussgründen im Vergaberecht
Die Ausschlussgründe im Vergaberecht bilden ein unverzichtbares Instrument, um die Integrität öffentlicher Beschaffungen zu sichern und das Vertrauen in die Vergabepraxis zu stärken. Sie stehen in engem Zusammenhang mit den unionsrechtlichen Grundprinzipien von Transparenz, Gleichbehandlung und Wettbewerbsgleichheit. Während zwingende Ausschlussgründe nach § 123 GWB klare Grenzen setzen, eröffnet § 124 GWB den Auftraggebern Spielräume, die sorgfältig auszufüllen sind. Die Rechtsprechung hat die Anforderungen an Dokumentation, Ermessensausübung und Selbstreinigung geschärft und damit den Rechtsschutz für Unternehmen gestärkt. Zugleich zeigt sich, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Praxis notwendig ist, um Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit gleichermaßen zu gewährleisten. Für Unternehmen ist es von zentraler Bedeutung, Compliance-Strukturen konsequent umzusetzen, um das Risiko eines Ausschlusses zu minimieren. Auftraggeber sind hingegen gefordert, Entscheidungen sorgfältig zu dokumentieren und unionsrechtskonform zu handeln.
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FAQ zu Ausschlussgründen im Vergaberecht
1. Was versteht man unter Ausschlussgründen im Vergaberecht?
Unter Ausschlussgründen im Vergaberecht versteht man gesetzlich normierte Tatbestände, die es öffentlichen Auftraggebern verbieten oder erlauben, bestimmte Unternehmen von einem Vergabeverfahren auszuschließen. Maßgeblich sind insbesondere die §§ 123, 124 GWB, die die europarechtlichen Vorgaben aus Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU umsetzen. Zwingende Ausschlussgründe betreffen strafrechtlich relevante Verfehlungen wie Korruption, Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung. Fakultative Ausschlussgründe betreffen hingegen schwere berufliche Verfehlungen oder Verstöße gegen arbeits-, sozial- oder umweltrechtliche Vorschriften. Ziel dieser Regelungen ist es, die Integrität des Vergabeverfahrens zu sichern und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Unternehmen, die von Ausschlussgründen betroffen sind, können durch Selbstreinigung nach § 125 GWB ihre Zuverlässigkeit wiederherstellen.
2. Welche zwingenden Ausschlussgründe nennt § 123 GWB?
§ 123 GWB regelt die zwingenden Ausschlussgründe, bei deren Vorliegen Auftraggeber verpflichtet sind, ein Unternehmen auszuschließen. Dazu zählen insbesondere Verurteilungen wegen Bestechung (§ 299 StGB), Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB), Terrorismusfinanzierung (§§ 129a, 129b StGB), Menschenhandel (§ 232 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Geldwäsche (§ 261 StGB) und Steuerhinterziehung (§ 370 AO). Diese Tatbestände entsprechen weitgehend den Vorgaben aus Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU. Der Auftraggeber hat insoweit keinen Ermessensspielraum. Liegt eine rechtskräftige Verurteilung vor, muss ein Ausschluss erfolgen, solange die gesetzliche Sperrfrist nicht abgelaufen ist oder keine wirksame Selbstreinigung nach § 125 GWB nachgewiesen wurde.
3. Welche fakultativen Ausschlussgründe enthält § 124 GWB?
§ 124 GWB eröffnet Auftraggebern die Möglichkeit, Unternehmen aufgrund bestimmter Umstände von Vergabeverfahren auszuschließen. Zu den fakultativen Ausschlussgründen zählen schwere berufliche Verfehlungen, die die Integrität des Unternehmens in Frage stellen, Verstöße gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen, die Missachtung von umweltrechtlichen Vorschriften, kartellrechtliche Zuwiderhandlungen sowie gravierende Verstöße gegen steuer- und sozialversicherungsrechtliche Pflichten. Im Gegensatz zu § 123 GWB besteht hier ein Ermessensspielraum, sodass Auftraggeber die Umstände des Einzelfalls abwägen müssen. Die Vergabekammern verlangen eine nachvollziehbare Dokumentation, aus der hervorgeht, warum ein Ausschluss verhältnismäßig ist. Damit wird ein Gleichgewicht zwischen Wettbewerbsschutz und Bieterrechten hergestellt.
4. Welche Rolle spielt die EU-Richtlinie 2014/24/EU bei Ausschlussgründen?
Die Richtlinie 2014/24/EU bildet die europarechtliche Grundlage der Ausschlussgründe. In Art. 57 unterscheidet sie zwischen zwingenden und fakultativen Ausschlussgründen. Die zwingenden Ausschlussgründe sind von allen Mitgliedstaaten umzusetzen, während bei den fakultativen Ausschlussgründen Gestaltungsspielräume bestehen. Ziel der Harmonisierung ist es, gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt zu schaffen und zu verhindern, dass Unternehmen in einem Mitgliedstaat ausgeschlossen und in einem anderen ohne Einschränkung zugelassen werden. Deutschland hat diese Vorgaben durch §§ 123, 124 GWB umgesetzt. Der Europäische Gerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung (z. B. EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-178/16), dass die nationalen Gerichte unionsrechtskonform auslegen müssen.
5. Wie lange wirken Ausschlussgründe?
Die Dauer der Wirkung von Ausschlussgründen hängt von der Art des Grundes ab. Bei zwingenden Ausschlussgründen nach § 123 GWB ist in der Regel eine Frist von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der Verurteilung vorgesehen. Bei fakultativen Ausschlussgründen nach § 124 GWB beträgt die Sperrfrist grundsätzlich drei Jahre. Diese Fristen ergeben sich aus Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24/EU und wurden in nationales Recht übernommen. Unternehmen können die Dauer jedoch durch wirksame Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB verkürzen. Auftraggeber müssen prüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen ausreichend sind, um die Zuverlässigkeit wiederherzustellen. Fehlt eine solche Prüfung, ist ein fortdauernder Ausschluss rechtswidrig.
6. Was bedeutet Selbstreinigung nach § 125 GWB?
Die Selbstreinigung nach § 125 GWB ermöglicht Unternehmen, trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes ihre Zuverlässigkeit wiederherzustellen. Hierfür müssen sie nachweisen, dass sie aktiv zur Aufklärung des Fehlverhaltens beigetragen haben, mit Behörden kooperieren, Schadensersatz geleistet haben und organisatorische sowie personelle Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Verstöße ergriffen haben. Dazu gehören insbesondere die Einführung von Compliance-Systemen, die Trennung von Verantwortlichkeiten und die Schulung von Mitarbeitern. Der Auftraggeber prüft, ob diese Maßnahmen geeignet sind, das Vertrauen in das Unternehmen wiederherzustellen. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 18. Juni 2019 (X ZB 8/19) klargestellt, dass Auftraggeber eine einzelfallbezogene Bewertung vorzunehmen haben. Damit ist die Selbstreinigung ein wesentliches Korrektiv im Vergaberecht.
7. Welche Beweislast besteht bei Ausschlussgründen?
Die Beweislast für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes liegt grundsätzlich beim Auftraggeber, der sich auf den Ausschluss beruft. Dieser hat die Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, die den Ausschluss rechtfertigen. Unternehmen sind jedoch verpflichtet, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten Nachweise zu erbringen, die ihre Eignung und Zuverlässigkeit belegen. Dazu gehört insbesondere die Vorlage von Eigenerklärungen, Auszügen aus dem Gewerbezentralregister oder Bescheinigungen der Finanz- und Sozialversicherungsbehörden. Verweigert ein Unternehmen die Mitwirkung oder legt unvollständige Nachweise vor, kann dies selbst einen fakultativen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB darstellen. In der Praxis führt dies zu einer abgestuften Darlegungs- und Nachweispflicht.
8. Welche Folgen hat ein unzulässiger Ausschluss?
Ein unzulässiger Ausschluss stellt einen erheblichen Vergaberechtsverstoß dar. Das betroffene Unternehmen kann gemäß §§ 155 ff. GWB ein Nachprüfungsverfahren einleiten. Die Vergabekammer prüft, ob der Ausschluss rechtmäßig war und kann den Auftraggeber verpflichten, das Unternehmen wieder am Verfahren zu beteiligen. Dies führt oft zu erheblichen Verzögerungen im Vergabeprozess. Darüber hinaus können Schadensersatzansprüche nach § 181 GWB geltend gemacht werden, wenn ein Unternehmen nachweisen kann, dass es ohne den rechtswidrigen Ausschluss den Zuschlag erhalten hätte. Der EuGH (Urt. v. 30.9.2010 – C-314/09, Strabag) hat klargestellt, dass effektiver Rechtsschutz gewährleistet sein muss. Auftraggeber laufen daher bei unzulässigen Ausschlüssen erhebliche Risiken.
9. Können Ausschlussgründe auch im Unterschwellenbereich angewendet werden?
Ja, Ausschlussgründe gelten auch im Unterschwellenbereich. Die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) enthält in § 31 entsprechende Regelungen, die sich an den §§ 123 und 124 GWB orientieren. Damit wird eine einheitliche Rechtslage geschaffen, sodass Unternehmen unabhängig von der Auftragsgröße vergleichbaren Vorgaben unterliegen. Auftraggeber müssen auch im Unterschwellenbereich prüfen, ob Ausschlussgründe vorliegen und ob eine Selbstreinigung ausreichend ist. Die Rechtsprechung betont, dass die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung auch unterhalb der EU-Schwellenwerte gelten (VK Südbayern, Beschl. v. 7.8.2019 – Z3-3-3194-1-22-06/19). Damit besteht kein „rechtsfreier Raum“, sondern eine klare Bindung an vergaberechtliche Grundsätze.
10. Welche Bedeutung haben arbeitsrechtliche Verstöße als Ausschlussgrund?
Arbeitsrechtliche Verstöße können einen fakultativen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB darstellen. Dazu zählen etwa Verstöße gegen das Mindestlohngesetz, Missachtung von Tarifverträgen oder die illegale Beschäftigung von Arbeitskräften. Der Gesetzgeber verfolgt damit das Ziel, unfaire Wettbewerbspraktiken zu unterbinden und die soziale Dimension des Vergaberechts zu stärken. Auftraggeber müssen im Einzelfall prüfen, ob der Verstoß schwerwiegend ist und ob er die Integrität des Unternehmens nachhaltig in Frage stellt. In der Rechtsprechung wird betont, dass nicht jeder formale Verstoß automatisch einen Ausschluss rechtfertigt. Entscheidend sind Schwere, Häufigkeit und die ergriffenen Abhilfemaßnahmen des Unternehmens.
11. Welche Rolle spielen steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Verstöße?
Verstöße gegen steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Pflichten gehören zu den klassischen fakultativen Ausschlussgründen nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Sie betreffen insbesondere die Nichtabführung von Lohnsteuer oder Sozialversicherungsbeiträgen sowie erhebliche Rückstände bei Steuerzahlungen. Ziel des Gesetzgebers ist es, Unternehmen, die ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachkommen, vom Wettbewerb um öffentliche Aufträge auszuschließen. Gleichwohl verlangt die Rechtsprechung eine Einzelfallprüfung: Ein bloßer Zahlungsrückstand genügt nicht, sofern er geringfügig oder bereits ausgeglichen ist. Erst wenn Verstöße systematisch oder schwerwiegend sind, wird die Integrität des Unternehmens infrage gestellt. Die Rechtsprechung, etwa des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 29.4.2020 – Verg 24/19), betont, dass der Ausschluss verhältnismäßig sein muss. Unternehmen können durch Nachweise über Zahlungen oder Vereinbarungen mit Behörden die Ausschlusswirkung verhindern.
12. Wie wirken sich kartellrechtliche Verstöße auf Ausschlussgründe aus?
Kartellrechtsverstöße können nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu einem fakultativen Ausschluss führen. Dies betrifft etwa Preisabsprachen, Marktaufteilungen oder die Manipulation von Ausschreibungen. Solche Verhaltensweisen gefährden unmittelbar die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs und untergraben die Integrität öffentlicher Vergaben. Der EuGH hat in seiner Entscheidung (Urt. v. 3.10.2019 – C-267/18, Delta Antrepriză) betont, dass kartellrechtswidriges Verhalten einen Ausschluss rechtfertigt, wenn es die Zuverlässigkeit des Unternehmens in Frage stellt. Auftraggeber müssen prüfen, ob das Verhalten ausreichend nachgewiesen ist, etwa durch Bußgeldbescheide oder kartellbehördliche Entscheidungen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit zur Selbstreinigung, wenn Unternehmen wirksame Compliance-Maßnahmen nachweisen. Damit soll verhindert werden, dass Unternehmen trotz schwerer Verstöße dauerhaft ausgeschlossen bleiben.
13. Welche Bedeutung hat die Dokumentationspflicht des Auftraggebers?
Die Dokumentationspflicht des Auftraggebers ist ein zentrales Element bei der Anwendung von Ausschlussgründen. Nach § 8 VgV sind sämtliche wesentlichen Entscheidungen, insbesondere zum Ausschluss von Bietern, in den Vergabevermerken festzuhalten. Dies dient der Transparenz und ermöglicht die gerichtliche Überprüfbarkeit im Nachprüfungsverfahren. Fehlt eine ausreichende Dokumentation, ist die Ausschlussentscheidung angreifbar und kann aufgehoben werden. Die Vergabekammer Bund (Beschl. v. 5.3.2019 – VK 2-17/19) hat klargestellt, dass eine bloße Bezugnahme auf allgemeine Erwägungen nicht genügt. Auftraggeber müssen nachvollziehbar darlegen, welche Tatsachen vorliegen und wie sie die Ermessensentscheidung getroffen haben. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gute Chancen haben, wenn die Dokumentation mangelhaft ist.
14. Welche Unterschiede bestehen zwischen Ausschlussgründen und Eignungskriterien?
Ausschlussgründe und Eignungskriterien sind strikt voneinander zu unterscheiden. Während Ausschlussgründe in §§ 123, 124 GWB geregelt sind und auf unzuverlässiges oder rechtswidriges Verhalten abzielen, betreffen Eignungskriterien nach §§ 122 ff. GWB die fachliche, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Ein Auftraggeber darf nicht versuchen, Ausschlussgründe über die Eignungsprüfung zu berücksichtigen, da dies gegen die Systematik des Vergaberechts verstoßen würde. Die Vergabekammern haben mehrfach betont, dass diese Trennung zwingend einzuhalten ist (VK Bund, Beschl. v. 11.1.2021 – VK 2-96/20). Für Unternehmen ist diese Abgrenzung wichtig, da sie ihre Eignung nachweisen können, auch wenn Ausschlussgründe parallel geprüft werden. Der rechtliche Rahmen verhindert so willkürliche Entscheidungen.
15. Können Ausschlussgründe auch während des laufenden Verfahrens entstehen?
Ja, Ausschlussgründe können auch während eines laufenden Vergabeverfahrens eintreten. Der Auftraggeber ist verpflichtet, die Zuverlässigkeit der Bieter nicht nur zu Beginn, sondern während des gesamten Verfahrens sicherzustellen. Erhält er während der Angebotsphase Kenntnis von einem relevanten Ausschlussgrund, muss er reagieren und den Bieter gegebenenfalls ausschließen. Dies gilt insbesondere für neu bekannt gewordene strafrechtliche Verurteilungen oder kartellrechtliche Verstöße. Der EuGH (Urt. v. 14.12.2016 – C-171/15, Connexxion Taxi Services) hat betont, dass Auftraggeber verpflichtet sind, neue Informationen zu berücksichtigen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Compliance während des gesamten Verfahrens aufrechterhalten müssen, um keine Risiken einzugehen.
16. Welche Möglichkeiten haben Unternehmen gegen einen Ausschluss vorzugehen?
Unternehmen können sich gegen einen Ausschluss mit einem Nachprüfungsantrag nach §§ 155 ff. GWB wehren. Dieser ist bei der zuständigen Vergabekammer einzureichen und muss innerhalb kurzer Fristen nach Bekanntwerden des Ausschlusses gestellt werden. Die Vergabekammer prüft sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen der Ausschlussentscheidung. Wird der Antrag abgelehnt, besteht die Möglichkeit, sofortige Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht einzulegen. Daneben können Unternehmen Schadensersatz nach § 181 GWB geltend machen, wenn ihnen durch den Ausschluss ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Der EuGH (Urt. v. 30.9.2010 – C-314/09, Strabag) hat klargestellt, dass Mitgliedstaaten effektiven Rechtsschutz gewährleisten müssen. In der Praxis sind daher Nachprüfungsverfahren ein effektives Mittel zur Durchsetzung der Bieterrechte.
17. Welche Pflichten haben Auftraggeber bei der Prüfung von Selbstreinigungsmaßnahmen?
Auftraggeber sind verpflichtet, die von Unternehmen vorgelegten Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB sorgfältig und einzelfallbezogen zu prüfen. Sie dürfen eine Selbstreinigung nicht pauschal ablehnen, sondern müssen prüfen, ob die Maßnahmen objektiv geeignet sind, das Vertrauen in das Unternehmen wiederherzustellen. Dazu gehört die Bewertung von Compliance-Systemen, die Kooperation mit Behörden und die Beseitigung von verantwortlichen Personen. Der BGH (Beschl. v. 18.6.2019 – X ZB 8/19) betont, dass Auftraggeber eine nachvollziehbare Begründung liefern müssen, wenn sie Selbstreinigungsmaßnahmen als unzureichend bewerten. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie umfassende Nachweise beibringen sollten, um ihre Glaubwürdigkeit zu stärken und die Chancen auf Teilnahme am Verfahren zu erhöhen.
18. Wie beeinflussen Ausschlussgründe internationale Vergaben?
Bei internationalen Vergaben, etwa im Rahmen von Projekten der Europäischen Union oder internationaler Organisationen, gelten in der Regel ähnliche Ausschlussmechanismen wie im deutschen und europäischen Recht. So enthalten die Vergaberichtlinien der EU, die UN Procurement Guidelines oder die OECD-Prinzipien vergleichbare Regelungen zu Korruption, Geldwäsche und schwerwiegenden beruflichen Verfehlungen. Unternehmen, die international tätig sind, müssen daher sicherstellen, dass ihre Compliance-Systeme weltweit den Standards entsprechen. Der Vorteil liegt darin, dass durch die Harmonisierung Rechtssicherheit entsteht und Unternehmen einheitliche Maßstäbe anwenden können. Ein Verstoß in einem Land kann jedoch globale Auswirkungen haben, wenn internationale Auftraggeber den Ausschluss anerkennen und umsetzen.
19. Welche Rolle spielt der Gleichbehandlungsgrundsatz bei Ausschlussgründen?
Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein tragendes Prinzip des Vergaberechts und gilt auch bei der Anwendung von Ausschlussgründen. Nach § 97 Abs. 2 GWB sind alle Bieter gleich zu behandeln. Dies bedeutet, dass Ausschlussgründe bei allen Unternehmen nach denselben Maßstäben geprüft werden müssen. Ein Auftraggeber darf nicht willkürlich entscheiden, ob er einen Ausschlussgrund berücksichtigt oder nicht. Der EuGH (Urt. v. 14.12.2016 – C-171/15, Connexxion Taxi Services) betonte, dass Transparenz und Gleichbehandlung zentrale Elemente sind. Unternehmen können sich daher erfolgreich gegen eine Ungleichbehandlung wehren, wenn der Auftraggeber Ausschlussgründe nur selektiv anwendet. Dies stärkt die Rechtssicherheit und schützt den Wettbewerb vor Verzerrungen.
20. Welche Zukunftsperspektiven bestehen für die Regelung der Ausschlussgründe?
Die Diskussion über die Zukunft der Ausschlussgründe konzentriert sich auf die Frage, wie eine bessere Balance zwischen Integrität und Verhältnismäßigkeit erreicht werden kann. Auf europäischer Ebene wird diskutiert, ob die zwingenden Ausschlussgründe weiter differenziert und die Selbstreinigung stärker vereinheitlicht werden sollten. Nationale Reformüberlegungen sehen vor, die Anforderungen an die Dokumentation und Ermessensausübung klarer zu fassen. Zudem rücken Nachhaltigkeitsaspekte in den Fokus: Verstöße gegen Umwelt- oder Menschenrechtsnormen könnten in Zukunft stärker als Ausschlussgründe gewichtet werden. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihr Compliance-Management nicht nur auf Korruptionsprävention, sondern auch auf Nachhaltigkeit ausrichten müssen. Auftraggeber erhalten damit ein erweitertes Instrumentarium, um integritätsorientiert zu beschaffen.
FAQ zur Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht
1. Was bedeutet die Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht?
Die Angemessenheit des Angebots bezeichnet die rechtliche Pflicht des Auftraggebers, sicherzustellen, dass das Angebot eines Bieters sowohl preislich als auch inhaltlich realistisch und rechtlich zulässig ist. Sie dient dem Schutz der öffentlichen Hand vor unseriösen Angeboten und dem Schutz der Bieter vor unfairer Konkurrenz. Rechtsgrundlagen finden sich in § 60 VgV, § 44 UVgO und Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU. Ein Angebot gilt als unangemessen, wenn der Preis ungewöhnlich niedrig ist oder die Leistung objektiv nicht zu den angebotenen Konditionen erbracht werden kann. Auftraggeber müssen solche Angebote prüfen und dokumentieren, bevor sie sie ausschließen.
2. Welche Rechtsgrundlagen regeln die Angemessenheit des Angebots?
Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind § 60 VgV, § 44 UVgO, § 16d VOB/A sowie Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU. Diese Vorschriften verpflichten Auftraggeber, ungewöhnlich niedrige Angebote auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Ergänzend verpflichtet § 97 Abs. 2 GWB zur Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung. Der EuGH hat in mehreren Urteilen, darunter „SAG ELV Slovensko“ (C-599/10), klargestellt, dass Auftraggeber Bieter anhören müssen, bevor ein Ausschluss erfolgen darf. Damit ergibt sich aus dem Zusammenspiel nationaler und europäischer Vorschriften eine klare Prüfpflicht, die Auftraggeber weder ignorieren noch verkürzen dürfen.
3. Wann muss ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebots prüfen?
Eine Prüfung ist zwingend erforderlich, wenn ein Angebot im Verhältnis zu den anderen Angeboten oder zu den üblichen Marktpreisen ungewöhnlich niedrig erscheint (§ 60 Abs. 1 VgV). Auch qualitative Auffälligkeiten wie unrealistisch kurze Ausführungsfristen oder fehlende Kostenansätze lösen eine Prüfungspflicht aus. Der EuGH betont, dass Auftraggeber bereits bei Anhaltspunkten verpflichtet sind, eine Aufklärung einzuholen. Dies gilt unabhängig davon, ob andere Bieter eine Rüge erheben. Unterbleibt die Prüfung trotz bestehender Zweifel, ist das Vergabeverfahren rechtswidrig und im Nachprüfungsverfahren anfechtbar.
4. Welche Rolle spielt § 60 VgV bei der Angemessenheit des Angebots?
§ 60 VgV normiert die Pflicht zur Preisprüfung bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten im Oberschwellenbereich. Auftraggeber müssen den betroffenen Bieter auffordern, seine Kalkulation zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. Der Bieter kann z. B. auf niedrigere Produktionskosten, besondere Effizienz oder Förderungen verweisen. Der Auftraggeber muss diese Angaben objektiv prüfen und dokumentieren. Erst wenn die Erklärung nicht plausibel ist oder Verstöße gegen Rechtsnormen erkennbar sind, darf ein Ausschluss erfolgen. § 60 VgV setzt damit die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU um.
5. Was gilt für die Angemessenheit im Unterschwellenbereich nach UVgO?
Unterhalb der EU-Schwellenwerte regelt § 44 UVgO die Angemessenheitsprüfung. Inhaltlich entspricht die Vorschrift § 60 VgV, sodass auch im Unterschwellenbereich ungewöhnlich niedrige Angebote überprüft werden müssen. Allerdings besteht hier kein förmlicher Rechtsschutz vor den Vergabekammern. Unternehmen können jedoch Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen oder die Fachaufsicht einschalten. Damit besteht auch im nationalen Bereich ein effektives Schutzinstrument, das Auftraggeber verpflichtet, die Angemessenheit sorgfältig zu prüfen und Bieter nicht ohne rechtliches Gehör auszuschließen.
6. Wie prüft ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebotspreises?
Der Auftraggeber fordert den Bieter gemäß § 60 VgV auf, den niedrigen Preis schriftlich zu erklären. Zulässige Begründungen können etwa effiziente Produktionsprozesse, günstigere Einkaufskonditionen, besondere technische Lösungen oder staatliche Subventionen sein. Der Auftraggeber muss diese Angaben auf Plausibilität prüfen und dokumentieren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) verlangt, dass diese Prüfung objektiv und nachvollziehbar erfolgt. Bleiben die Zweifel bestehen oder sind die Erklärungen unzureichend, darf das Angebot ausgeschlossen werden. Eine pauschale Ablehnung ohne Prüfung ist unzulässig und rechtswidrig.
7. Was passiert, wenn ein Angebot unangemessen niedrig ist?
Erweist sich ein Angebot nach Prüfung als unangemessen niedrig und nicht tragfähig, darf der Auftraggeber es ausschließen (§ 60 Abs. 3 VgV). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Leistung bei den angegebenen Preisen nicht ordnungsgemäß erbracht werden kann oder gesetzliche Vorschriften verletzt würden. Der EuGH erlaubt den Ausschluss auch dann, wenn die Unangemessenheit auf Missachtung von Umwelt- oder Sozialstandards beruht. Der Ausschluss ist jedoch nur zulässig, wenn der Bieter zuvor rechtliches Gehör erhalten hat. Ohne Anhörung wäre der Ausschluss ein Verstoß gegen das Vergaberecht.
8. Welche Bedeutung hat das Urteil „SAG ELV Slovensko“ für die Angemessenheit?
In der Rechtssache C-599/10 „SAG ELV Slovensko“ stellte der EuGH klar, dass Auftraggeber bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten eine Aufklärungspflicht trifft. Sie müssen den betroffenen Bieter anhören und dessen Erklärungen objektiv prüfen. Ein Ausschluss ohne vorherige Anhörung verstößt gegen den Transparenzgrundsatz und die unionsrechtliche Gleichbehandlungspflicht. Dieses Urteil hat die Anforderungen an die Angemessenheitsprüfung verschärft und in Deutschland zur klaren Normierung in § 60 VgV geführt. Damit ist heute verbindlich geregelt, dass der Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote nur nach sorgfältiger Prüfung zulässig ist.
9. Welche Dokumentationspflichten bestehen bei der Angemessenheitsprüfung?
§ 8 VgV und § 7 UVgO verpflichten Auftraggeber, die Prüfung der Angemessenheit vollständig zu dokumentieren. Dies umfasst die Aufforderung an den Bieter, die vorgelegten Erklärungen, die Bewertung durch die Vergabestelle und die abschließende Entscheidung. Der BGH (X ZR 97/19) hat hervorgehoben, dass eine unzureichende Dokumentation die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gefährdet. Unternehmen haben Anspruch auf Einsicht in die Dokumentation, soweit dies zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist. Eine lückenhafte Dokumentation macht das Vergabeverfahren angreifbar und kann zur Aufhebung durch die Vergabekammer führen.
10. Können qualitative Aspekte zur Unangemessenheit führen?
Ja, qualitative oder technische Aspekte können ebenfalls ein Angebot unangemessen machen. § 60 Abs. 2 VgV sieht ausdrücklich vor, dass Angebote ausgeschlossen werden können, wenn sie gegen geltende Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrechtsnormen verstoßen. Auch eine technisch unrealistische Leistungserbringung kann zur Unangemessenheit führen. Der BGH (X ZR 78/07) hat entschieden, dass Angebote ausgeschlossen werden dürfen, die objektiv nicht erfüllbar sind. Auftraggeber müssen daher nicht nur Preise, sondern auch die technische und qualitative Machbarkeit prüfen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie realistische und rechtlich einwandfreie Leistungen anbieten müssen.
11. Welche Rolle spielt die EU-Richtlinie 2014/24/EU?
Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU schreibt den Mitgliedstaaten verbindlich vor, ungewöhnlich niedrige Angebote zu prüfen. Sie betont die Pflicht zur Anhörung des betroffenen Bieters und nennt mögliche Gründe für niedrige Preise, wie effiziente Verfahren oder technische Lösungen. Gleichzeitig erlaubt sie den Ausschluss, wenn die Unangemessenheit auf Gesetzesverstößen beruht. Deutschland hat diese Vorgaben in § 60 VgV umgesetzt. Der EuGH überwacht die einheitliche Anwendung und stellt sicher, dass Bieter europaweit vergleichbaren Rechtsschutz genießen. Damit ist die Richtlinie der zentrale unionsrechtliche Rahmen für die Angemessenheitsprüfung.
12. Was passiert, wenn die Angemessenheit nicht geprüft wird?
Unterlässt ein Auftraggeber trotz Verdachts die Prüfung, liegt ein Verstoß gegen § 60 VgV und Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU vor. Dies macht die Zuschlagsentscheidung rechtswidrig und eröffnet unterlegenen Bietern die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten (§ 160 GWB). Das OLG Düsseldorf (Verg 24/18) hat klargestellt, dass eine unterlassene Prüfung zur Aufhebung der Vergabe führt. Auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche sind denkbar, wenn ein Unternehmen ohne Prüfung ausgeschlossen wurde. Auftraggeber sind daher verpflichtet, jeden Verdacht ernst zu nehmen und die Prüfung lückenlos durchzuführen.
13. Welche Rechte haben Unternehmen bei einer Angemessenheitsprüfung?
Unternehmen haben das Recht, angehört zu werden und ihre Preise zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. § 60 Abs. 1 Satz 2 VgV verpflichtet Auftraggeber, Bietern rechtliches Gehör zu gewähren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) hat dies ausdrücklich bestätigt. Unternehmen können ihre Kalkulationen durch Effizienzvorteile, Skaleneffekte oder andere legitime Gründe erklären. Wird das Angebot dennoch ausgeschlossen, haben Unternehmen die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen und ein Nachprüfungsverfahren zu führen. Damit ist die Angemessenheitsprüfung ein Instrument, das nicht nur Auftraggeber, sondern auch die Rechte der Unternehmen schützt.
14. Dürfen Angebote allein wegen niedriger Preise ausgeschlossen werden?
Nein, ein Ausschluss allein aufgrund niedriger Preise ist unzulässig. Auftraggeber müssen dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 60 Abs. 1 VgV). Der EuGH (C-599/10) betont, dass ein pauschaler Ausschluss ohne Anhörung gegen den Transparenzgrundsatz verstößt. Nur wenn die Erklärung unzureichend ist oder Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften bestehen, ist ein Ausschluss möglich. Niedrige Preise können also durchaus angemessen sein, wenn sie plausibel begründet werden. Auftraggeber dürfen Angebote daher nicht vorschnell ausschließen, sondern müssen stets eine objektive Prüfung vornehmen.
15. Welche Folgen hat ein Ausschluss wegen Unangemessenheit?
Ein Ausschluss wegen Unangemessenheit führt dazu, dass das betroffene Unternehmen nicht weiter am Verfahren teilnimmt. Dies ist rechtlich nur zulässig, wenn die Prüfung nach § 60 VgV ordnungsgemäß durchgeführt und dokumentiert wurde. Wird ein Unternehmen zu Unrecht ausgeschlossen, kann es ein Nachprüfungsverfahren anstrengen oder Schadensersatz geltend machen (§ 181 GWB). Der Ausschluss hat für Auftraggeber erhebliche Risiken, wenn er nicht rechtssicher erfolgt. Daher ist eine sorgfältige Prüfung und Begründung zwingend erforderlich. Unternehmen können ihre Rechte effektiv verteidigen, wenn der Ausschluss nicht auf einer plausiblen Grundlage beruht.
16. Welche Pflichten hat der Auftraggeber bei der Angemessenheitsprüfung?
Auftraggeber müssen nach § 60 VgV und § 44 UVgO alle Angebote auf ihre Angemessenheit prüfen, wenn Anzeichen für Unangemessenheit vorliegen. Sie sind verpflichtet, den betroffenen Bieter anzuhören, seine Erklärung objektiv zu bewerten und das Ergebnis zu dokumentieren. Zudem müssen sie prüfen, ob das Angebot gegen Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrecht verstößt. Der EuGH betont, dass diese Pflichten unionsrechtlich verankert sind und nicht verkürzt werden dürfen. Unterlassen Auftraggeber diese Prüfung, riskieren sie nicht nur die Aufhebung des Verfahrens, sondern auch Beanstandungen durch Rechnungshöfe oder Aufsichtsbehörden.
17. Wie können Unternehmen gegen eine fehlerhafte Prüfung vorgehen?
Unternehmen können gegen eine fehlerhafte Prüfung oberhalb der Schwellenwerte ein Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB einleiten. Voraussetzung ist eine Rüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB innerhalb von zehn Tagen. Unterhalb der Schwellenwerte können Unternehmen Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen. Zudem können sie die Fachaufsicht einschalten. Die Rechtsprechung zeigt, dass fehlerhafte Prüfungen regelmäßig zur Aufhebung der Vergabe führen. Unternehmen sollten daher Verstöße frühzeitig rügen und notfalls rechtliche Schritte einleiten, um ihre Rechte zu sichern.
18. Welche Bedeutung hat die Lebenszykluskostenbetrachtung bei der Angemessenheit?
Die Lebenszykluskostenbetrachtung nach § 59 VgV ermöglicht es Auftraggebern, nicht nur den Anschaffungspreis, sondern auch Betriebskosten, Energieverbrauch und Entsorgungskosten zu berücksichtigen. Dies führt zu einer realistischen Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit eines Angebots. Ein Angebot kann unangemessen sein, wenn es zwar einen niedrigen Anschaffungspreis, aber extrem hohe Folgekosten verursacht. Der EuGH erlaubt ausdrücklich die Berücksichtigung solcher Kriterien, sofern sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Unternehmen sollten daher ihre Kalkulationen auch im Hinblick auf Lebenszykluskosten plausibel darlegen.
19. Welche Risiken bestehen für Auftraggeber bei Nichtbeachtung der Angemessenheit?
Wenn Auftraggeber die Angemessenheit nicht prüfen, riskieren sie die Rechtswidrigkeit der Vergabe. Unterlegene Bieter können ein Nachprüfungsverfahren einleiten, und Gerichte oder Vergabekammern heben die Vergabe regelmäßig auf. Zudem drohen Beanstandungen durch Rechnungshöfe, Schadensersatzforderungen (§ 181 GWB) und Verzögerungen bei der Projektdurchführung. Auch der Verlust von Fördermitteln ist möglich, wenn die Vergabevorschriften nicht eingehalten werden. Auftraggeber müssen daher die Angemessenheit sorgfältig prüfen und dokumentieren, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken zu vermeiden.
20. Warum ist die Angemessenheit des Angebots für Unternehmen wichtig?
Für Unternehmen ist die Angemessenheit entscheidend, weil sie sicherstellt, dass Wettbewerber keine unrealistischen Dumpingpreise anbieten können. Sie schützt vor unfairer Konkurrenz und gewährleistet faire Marktbedingungen. Unternehmen können sich darauf verlassen, dass Auftraggeber ungewöhnlich niedrige Angebote prüfen und unfaire Praktiken unterbinden. Gleichzeitig haben sie das Recht, ihre eigenen günstigen Preise plausibel zu erläutern und damit am Verfahren teilzunehmen. Die Angemessenheit ist somit ein Schutzinstrument für redliche Anbieter und ein zentrales Element des fairen Wettbewerbs im Vergaberecht.