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AVV Klima im Vergaberecht: Nachhaltige Beschaffung rechtssicher umsetzen

AVV Klima – Praxistipps für klimafreundliche Vergaben nach GWB, VgV, UVgO und EU-Recht

Die AVV Klima (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen) markiert einen zentralen Einschnitt im deutschen Vergaberecht. Sie legt erstmals verbindliche Pflichten fest, dass öffentliche Auftraggeber insbesondere auf Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus zu achten haben. Der vorliegende Fachtext analysiert die AVV Klima im Kontext des deutschen und europäischen Vergaberechts (insbesondere GWB, VgV, UVgO, VOB/A), verband sie mit EU-Richtlinien und beleuchtet einschlägige Rechtsprechung. Zudem werden praxisorientierte Hinweise gegeben, wie Unternehmen Ausschreibungen sinnvoll bewerten und Vergabestellen rechtssicher agieren. Ziel ist eine tiefe juristische Durchdringung und zugleich handfeste Anwendung für Entscheider und Rechtsanwender gleichermaßen.

Der rechtliche Rahmen der AVV Klima im deutschen Vergaberecht

Die AVV Klima stützt sich auf den vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere auf § 97 Abs. 3 GWB, der ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, ökologische Aspekte in allen Phasen der öffentlichen Beschaffung zu berücksichtigen. Während die Vorschrift des GWB einen allgemeinen Grundsatz formuliert, konkretisieren die Verordnungen – die Vergabeverordnung (VgV), die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) – die Verfahren. Die AVV Klima fügt sich als Verwaltungsvorschrift in diese Systematik ein und entfaltet gegenüber den Bundesdienststellen verbindliche Wirkung. Ihre rechtliche Grundlage findet sie zudem im § 13 Bundes-Klimaschutzgesetz, der die Bundesregierung verpflichtet, Maßnahmen zur Erreichung der sektoralen Klimaziele zu ergreifen. Die AVV Klima ist somit kein bloßes politisches Leitbild, sondern eine normative Konkretisierung des Klimaschutzgebots im Beschaffungswesen.

Zugleich fügt sie sich in den europäischen Rechtsrahmen ein: Die Richtlinie 2014/24/EU (klassische Vergabe) und die Richtlinie 2014/25/EU (Sektorenvergaben) sehen in Art. 42, 67 und 70 ausdrücklich die Berücksichtigung von Umwelt- und Lebenszykluskosten vor. Der EuGH hat mehrfach entschieden, dass ökologische Zuschlagskriterien zulässig sind, wenn sie einen hinreichenden Auftragsbezug aufweisen und transparent angewendet werden (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – C-368/13). Die AVV Klima steht damit in voller Übereinstimmung mit dem europäischen Primärrecht und trägt zur Umsetzung des europäischen Green Deals bei.

Politischer Hintergrund: Vom Klimaschutzgesetz zur Nachhaltigkeitsstrategie 2025 / 2026

Die AVV Klima ist keine isolierte Einzelmaßnahme, sondern das Ergebnis eines breiten politischen und juristischen Transformationsprozesses. Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) von 2019 verpflichtet die Bundesregierung, sektorale Minderungsziele festzulegen und jährlich Fortschritte zu überprüfen (§§ 3 bis 5 KSG). Öffentliche Beschaffung, die rund 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts ausmacht, gilt als Schlüsselhebel für Emissionsreduktion. Die AVV Klima operationalisiert diesen Hebel auf Verwaltungsebene. Parallel dazu fordert die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2025, dass Bund, Länder und Kommunen Beschaffungen als strategisches Instrument für Klimaneutralität einsetzen. Die AVV Klima konkretisiert diese Zielvorgabe, indem sie für alle Beschaffungsvorhaben ab einem Wert von 10 000 Euro netto eine systematische Emissionsbetrachtung verlangt. Damit wird Beschaffungspolitik zu Klimapolitik – rechtsverbindlich, überprüfbar und messbar.

Diese politische Einbettung ist entscheidend: Während frühere Programme wie die AVV EnEff oder der Aktionsplan Nachhaltigkeit weitgehend appellativen Charakter hatten, verpflichtet die AVV Klima die Verwaltung erstmals zu messbaren CO₂-Bewertungen. Damit wird sie zu einem Instrument, das nicht nur Umweltziele, sondern auch wirtschaftliche Effizienz fördert, indem es den Fokus vom Anschaffungspreis auf die Lebenszykluskosten verlagert.

Anwendungsbereich, Schwellenwerte und Ausnahmen der AVV Klima

Die AVV Klima gilt für alle Dienststellen der unmittelbaren Bundesverwaltung und erfasst Liefer-, Dienst- und Bauleistungen, soweit diese den Regelungen der VgV, VOB/A oder UVgO unterliegen. Sie findet Anwendung ab einem geschätzten Auftragswert von 10 000 Euro netto. Unterhalb dieser Grenze kann die Emissionsbewertung freiwillig erfolgen, sollte aber aus Gründen der Einheitlichkeit erwogen werden. Ausgenommen sind Aufträge im Bereich der Verteidigung und Sicherheit (§ 104 GWB) sowie spezielle Fahrzeugbeschaffungen, die eigenen Umweltregelungen unterliegen. Entscheidend ist stets die Verhältnismäßigkeit: Ist eine Emissionsbewertung mangels belastbarer Daten oder wegen übermäßigen Aufwands nicht möglich, darf davon abgesehen werden. Die Ausnahme muss im Vergabevermerk nachvollziehbar begründet werden – eine formale Pflicht, die in Nachprüfungsverfahren regelmäßig überprüft wird.

Die AVV Klima verpflichtet die Vergabestellen, Emissionsdaten, soweit verfügbar, zu beschaffen und zu monetarisieren. Grundlage ist der nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) festgelegte CO₂-Preis, der als Schattenpreis in die Bewertung eingeht. Für 2025 liegt dieser Preis bei 55 Euro pro Tonne CO₂, was erhebliche Auswirkungen auf Lebenszykluskostenmodelle haben kann.

Die einzelnen Verfahrensphasen unter der AVV Klima

Bedarfsermittlung

In der ersten Phase der Bedarfsermittlung verlangt § 2 AVV Klima die Prüfung klimarelevanter Alternativen. Vergabestellen müssen ermitteln, ob sich der Bedarf durch Wiederverwendung, Leasing, Reparatur oder Gebrauchtkauf decken lässt. Diese Pflicht transformiert das traditionelle Vergabeverständnis: Beschaffung soll nicht nur Deckung des Bedarfs, sondern auch Beitrag zur Emissionsminderung leisten. Die Prüfung ist zu dokumentieren, ebenso wie Gründe für den Ausschluss klimafreundlicher Alternativen. Unternehmen profitieren von dieser Phase, wenn sie modulare, langlebige oder energieeffiziente Produkte anbieten, da diese in der Emissionsprognose regelmäßig günstiger abschneiden.

Leistungsbeschreibung

§ 4 AVV Klima verpflichtet zur Formulierung des höchsten erreichbaren Energieeffizienzniveaus. Technische Spezifikationen müssen funktional sein, also auf Zielgrößen wie Energiebedarf oder CO₂-Emissionen abstellen, statt auf konkrete Produkte. Gütezeichen dürfen nur dann gefordert werden, wenn sie den Anforderungen des § 34 VgV entsprechen und gleichwertige Nachweise zugelassen werden. Diese Gleichwertigkeitsklausel schützt KMU – und sichert zugleich die Wettbewerbsneutralität.

Zuschlagskriterien und Lebenszykluskosten

Das Herzstück der AVV Klima bildet die Zuschlagswertung. Statt allein auf den Preis abzustellen, müssen Vergabestellen das wirtschaftlichste Angebot anhand von Lebenszykluskosten bewerten (§ 59 VgV). Dazu gehören Anschaffungs-, Betriebs-, Wartungs- und Entsorgungskosten sowie monetarisierte Emissionen. Der Zuschlag soll an das Angebot gehen, das das beste Verhältnis von Preis, Qualität und Emissionsbilanz bietet. Dieses Paradigma verschiebt das Beschaffungsziel von kurzfristiger Kostenminimierung hin zu langfristiger Klimawirkung und Wirtschaftlichkeit.

Vertragsdurchführung

Auch nach Zuschlag wirkt die AVV Klima fort. In der Vertragsphase können Umsetzungs- und Berichtspflichten vereinbart werden, etwa regelmäßige Emissionsnachweise oder Wartungsintervalle zur Effizienzprüfung. Bestimmte Produkte, wie Heizpilze oder Einwegplastik, sind nach Anlage 1 AVV Klima grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen sind nur bei dringendem öffentlichen Interesse möglich und müssen dokumentiert werden.

Schnittstellen zu GWB, VgV, UVgO und VOB/A

Das GWB bildet die Basis des Vergaberechts. § 97 Abs. 3 GWB verankert Nachhaltigkeit, § 97 Abs. 4 betont die Mittelstandsfreundlichkeit. Die AVV Klima konkretisiert diese Grundsätze für den Bund. Die VgV regelt Verfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte und enthält in § 67 besondere Bestimmungen zu Energieverbrauch und Lebenszykluskosten. Die AVV Klima erweitert diese Norm, indem sie Treibhausgasemissionen ausdrücklich einbezieht. Die UVgO gilt im Unterschwellenbereich; hier ist die AVV Klima nicht zwingend, aber empfehlenswert. Für Bauleistungen verweist § 16d EU VOB/A auf die Berücksichtigung von Lebenszykluskosten – ein Ansatz, den die AVV Klima aufgreift und ausweitet.

Damit bildet die AVV Klima eine Querschnittsregelung, die alle Vergaberechtsstränge unter einem ökologischen Leitgedanken vereint. In der Praxis entstehen dadurch neue Abwägungspflichten: Wirtschaftlichkeit ist nicht länger allein monetär zu verstehen, sondern als Zusammenspiel von Kosten- und Klimawirkung.

Europäische Einbindung und Rechtsprechung

Die AVV Klima entspricht vollständig den Vorgaben der Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU. Art. 18 RL 2014/24/EU verlangt Transparenz und Gleichbehandlung, während Art. 67 Lebenszykluskosten ausdrücklich erlaubt. Art. 70 gestattet umweltbezogene Vertragsbedingungen. Die EuGH-Rechtsprechung (u. a. C-368/13 „Ingeniørfirmaet D. Petersen“ und C-448/01 „EVN/Wienstrom“) bestätigt, dass Zuschlagskriterien, die Umweltaspekte bewerten, zulässig sind, wenn sie objektiv und überprüfbar sind. Nationale Gerichte wie der BGH (Beschluss vom 15. März 2016 – X ZB 17/15) haben die Anforderungen an Transparenz und Vorhersehbarkeit von Bewertungssystemen präzisiert.

Vergabekammern und Oberlandesgerichte übertragen diese Maßstäbe auf klimabezogene Verfahren: Bewertungsmodelle müssen eindeutig, nachvollziehbar und diskriminierungsfrei sein. Fehlt es daran, liegt ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vor, der die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtfertigen kann.

Praxisrelevanz für Unternehmen und Vergabestellen

Für Unternehmen eröffnet die AVV Klima Chancen und Risiken. Wer glaubwürdige Emissionsdaten vorlegen kann, gewinnt in der Wertungspraxis erheblich. Fehlende oder unplausible Angaben führen dagegen zu Punktabzügen oder Ausschluss. Unternehmen sollten Ausschreibungsunterlagen sorgfältig auf Bewertungsmethodik, CO₂-Preisannahmen und Nachweisarchitektur prüfen. Unklare oder widersprüchliche Anforderungen sind umgehend zu rügen (§ 160 GWB).

Vergabestellen wiederum müssen Dokumentationspflichten ernst nehmen. Der Vergabevermerk muss die Prüfung klimarelevanter Alternativen, die Bewertung der Lebenszykluskosten und die Begründung eventueller Ausnahmen enthalten. Unzureichende Dokumentation stellt einen schweren Verfahrensfehler dar. Gleichzeitig sollten Vergabestellen darauf achten, dass Anforderungen verhältnismäßig bleiben, um KMU nicht vom Wettbewerb auszuschließen.

Ein zentrales Erfolgsrezept ist Transparenz: Wenn Bewertungsmethoden, Gewichtungen und Datenquellen klar benannt werden, reduziert sich das Risiko von Nachprüfungsverfahren erheblich.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Die praktische Umsetzung der AVV Klima steht vor mehreren Herausforderungen. Erstens fehlt es für viele Produktgruppen an standardisierten Emissionsdaten. Zweitens bleibt der „vertretbare Aufwand“ unbestimmt, was Vergabestellen Interpretationsspielräume eröffnet. Drittens müssen CO₂-Bewertungen methodisch harmonisiert werden, um Vergleichbarkeit sicherzustellen. Die Bundesregierung plant daher, die AVV Klima im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie 2025 weiterzuentwickeln und mit der geplanten AVV Nachhaltige Beschaffung zu verschmelzen. Zudem sollen die UVgO und VOB/A im Zuge des Vergabetransformationsgesetzes um Nachhaltigkeitsaspekte ergänzt werden.

Langfristig wird die AVV Klima ein Standardinstrument bleiben. Ihre Weiterentwicklung hängt davon ab, ob Verwaltung und Wirtschaft belastbare Emissionsmodelle etablieren und den kulturellen Wandel hin zu nachhaltiger Beschaffung verinnerlichen.

Fazit – AVV Klima als Steuerungsinstrument nachhaltiger Verwaltung

Die AVV Klima ist mehr als eine Verwaltungsvorschrift. Sie ist der juristische Ausdruck einer neuen Verwaltungskultur, die Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Innovation verbindet. Indem sie Lebenszykluskosten mit Treibhausgasbewertung verknüpft, definiert sie Wirtschaftlichkeit neu. Für Vergabestellen bedeutet das: sorgfältige Planung, präzise Dokumentation und transparente Bewertung. Für Unternehmen eröffnet sie Wettbewerbsvorteile, wenn sie glaubwürdige Emissionsdaten und nachhaltige Lösungen anbieten. Politisch ist sie ein Baustein der deutschen Klimastrategie – rechtlich eine Konkretisierung europäischer Vergabeprinzipien – praktisch ein Werkzeug für die Transformation staatlicher Beschaffung.

Wer die AVV Klima richtig anwendet, erreicht nicht nur rechtssichere Verfahren, sondern leistet messbaren Beitrag zur Klimaneutralität der Bundesverwaltung bis 2045.

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FAQ zu AVV Klima

1. Was ist die AVV Klima und welchen rechtlichen Status besitzt sie?
Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) ist eine verbindliche Verwaltungsvorschrift für die unmittelbare Bundesverwaltung. Sie wurde am 19. Oktober 2021 erlassen und trat am 1. Januar 2022 in Kraft. Ihr rechtlicher Status liegt zwischen Gesetz und Verwaltungspraxis: Sie ist keine förmliche Rechtsnorm, entfaltet aber interne Bindungswirkung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 BHO für Bundesbehörden. Inhaltlich konkretisiert sie § 97 Abs. 3 GWB, der Umwelt- und Klimaschutzaspekte als zulässige Vergabekriterien vorsieht. Ziel ist es, Treibhausgasemissionen in Vergabeverfahren systematisch zu berücksichtigen, indem Lebenszykluskosten inklusive monetarisierter CO₂-Emissionen zum Zuschlagskriterium werden. Damit transformiert die AVV Klima die politische Zielsetzung der Klimaneutralität bis 2045 in eine verbindliche Verwaltungspraxis und stellt sicher, dass die öffentliche Beschaffung zum Instrument der Klimapolitik wird.

2. Für welche Auftraggeber gilt die AVV Klima verbindlich?
Verbindlich gilt die AVV Klima für alle Behörden, Dienststellen und Einrichtungen der unmittelbaren Bundesverwaltung, einschließlich nachgeordneter Bundesbehörden und Bundesämter. Sie erfasst Liefer-, Dienst- und Bauleistungen, die den Regelungen der VgV, der VOB/A oder der UVgO unterliegen. Nicht unmittelbar erfasst sind Landes-, Kommunal- oder Zweckverbände, diese können die AVV Klima jedoch freiwillig anwenden, um ihre Beschaffungen an Bundesstandards anzupassen. Im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich (§ 104 GWB) sowie für bestimmte Spezialfahrzeuge gilt sie nur eingeschränkt. Ihre Wirkung beschränkt sich somit auf Bundesbeschaffungen, entfaltet aber durch den föderalen Vorbildcharakter normative Strahlkraft für Länder und Kommunen, die zunehmend ähnliche Regelungen implementieren.

3. Ab welchem Auftragswert ist die AVV Klima anzuwenden?
Die Anwendungspflicht der AVV Klima beginnt bei einem geschätzten Nettoauftragswert von 10 000 Euro. Diese Schwelle wurde bewusst niedrig angesetzt, um auch kleinere Vergaben klimarelevant zu gestalten. Bei Beschaffungen unterhalb dieser Grenze wird die Anwendung empfohlen, ist aber nicht zwingend. Übersteigt der Auftragswert die Schwelle, muss die Vergabestelle prüfen, ob eine Emissionsprognose mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Nur wenn verlässliche Daten fehlen oder der Aufwand unverhältnismäßig wäre, darf auf eine vollständige Bewertung verzichtet werden. Die Ausnahme ist im Vergabevermerk zu begründen. Dadurch wird Transparenz geschaffen und die Nachprüfbarkeit der Entscheidung sichergestellt, insbesondere im Hinblick auf die Dokumentationspflichten nach § 8 VgV und § 24 UVgO.

4. Welche rechtlichen Grundlagen stützen die AVV Klima?
Die AVV Klima beruht auf § 97 Abs. 3 GWB, der die Berücksichtigung von Umwelt- und Klimaschutz als Vergabeprinzip zulässt. Sie konkretisiert ferner die §§ 59 und 67 VgV, die Lebenszykluskosten und Energieverbrauchsparameter regeln. Für Bauvergaben wird § 16d EU VOB/A herangezogen, der Zuschlagsentscheidungen nach Wirtschaftlichkeitskriterien ermöglicht. Im Unterschwellenbereich orientiert sie sich an der UVgO. Darüber hinaus steht sie in engem Zusammenhang mit § 13 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), der die Bundesregierung verpflichtet, Klimaschutzmaßnahmen in allen Politikfeldern umzusetzen. Europarechtlich wird sie durch Art. 67 und 70 der Richtlinie 2014/24/EU legitimiert, die Umweltkriterien ausdrücklich zulassen. Zusammengenommen entsteht ein kohärentes System, das nationale Vergabeprinzipien mit internationalen Klimazielen verbindet.

5. Welche politischen Ziele verfolgt die AVV Klima?
Die AVV Klima ist ein Instrument zur Umsetzung der Klimaziele des Bundes. Sie dient der Erreichung der im Klimaschutzgesetz (§ 3 KSG) festgelegten Emissionsminderungsziele und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2025. Die Bundesregierung strebt an, bis 2045 Klimaneutralität in der Verwaltung zu erreichen. Da die öffentliche Beschaffung jährlich ein Volumen von über 500 Milliarden Euro umfasst, wird sie als entscheidender Hebel zur Emissionsreduktion verstanden. Die AVV Klima soll Beschaffungsentscheidungen so steuern, dass klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen bevorzugt werden, ohne den Wettbewerb einzuschränken. Politisch stärkt sie den Green-Deal-Ansatz der EU, rechtlich übersetzt sie ihn in nationale Verwaltungsstrukturen. Damit ist sie zugleich Klimaschutzinstrument und Innovationsmotor.

6. Wie beeinflusst die AVV Klima das klassische Vergaberecht?
Die AVV Klima verändert das Verständnis von Wirtschaftlichkeit. Während zuvor der niedrigste Preis dominierte, rückt nun der Lebenszyklus in den Mittelpunkt. Das bedeutet, dass Anschaffungs-, Betriebs-, Wartungs- und Entsorgungskosten einschließlich der monetarisierten Emissionen zu bewerten sind. § 59 VgV gestattet diese Kostenmodelle, § 67 VgV konkretisiert sie für energiebezogene Lieferungen. Durch die AVV Klima wird diese Methodik verpflichtend für Bundesdienststellen. Zugleich entstehen neue Dokumentationspflichten: Der Vergabevermerk muss die angewandte Bewertungsmethode, Datenquellen und Begründungen für Ausnahmen enthalten. Damit wird Vergaberecht zum Steuerungsinstrument der Klimapolitik – ohne das Wettbewerbsprinzip aufzugeben.

7. Welche Bedeutung hat der Begriff „vertretbarer Aufwand“?
Der Begriff des „vertretbaren Aufwands“ ist zentral. Er dient als Korrektiv zwischen Effizienz und Verhältnismäßigkeit. Vergabestellen müssen prüfen, ob Emissionsdaten in angemessener Zeit, zu vertretbaren Kosten und mit ausreichender Genauigkeit erhoben werden können. Fehlen wissenschaftlich belastbare Werte, darf die Emissionsbewertung entfallen. Diese Entscheidung ist jedoch zu begründen und zu dokumentieren. Maßgeblich ist die objektive Zumutbarkeit für eine durchschnittlich leistungsfähige Behörde. Der unbestimmte Rechtsbegriff erlaubt eine flexible, aber nachvollziehbare Anwendung, die sowohl den Verwaltungsaufwand als auch die rechtlichen Transparenzanforderungen wahrt.

8. Wie werden Treibhausgasemissionen ermittelt und bewertet?
Die Ermittlung erfolgt über eine Lebenszyklusanalyse, die alle Phasen – Herstellung, Transport, Nutzung und Entsorgung – umfasst. Die Bewertung basiert auf CO₂-Äquivalenten, die mit einem Preis nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) multipliziert werden. Für 2025 beträgt dieser Preis 55 Euro pro Tonne CO₂. Alternativ können anerkannte Schattenpreise oder Werte des Umweltbundesamtes verwendet werden. Die monetarisierten Emissionen fließen in die Lebenszykluskosten ein und beeinflussen die Zuschlagsentscheidung. Die Transparenz der Berechnung ist zwingend: Alle Annahmen, Quellen und Parameter müssen in der Vergabeakte nachvollziehbar dokumentiert werden, um eine gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen.

9. Wie sind Lebenszykluskosten in Vergabeverfahren rechtlich zu berücksichtigen?
§ 59 VgV verpflichtet öffentliche Auftraggeber, das wirtschaftlichste Angebot auf Grundlage von Lebenszykluskosten zu ermitteln. Die AVV Klima dehnt dieses Prinzip auf Treibhausgasemissionen aus. Die Berechnung umfasst neben Anschaffung und Betrieb auch Wartung, Energieverbrauch und Entsorgung. Emissionskosten werden über CO₂-Preise bewertet und den Gesamtkosten zugerechnet. Diese Methode schafft Vergleichbarkeit über die Lebensdauer einer Leistung. Der Zuschlag geht somit an das Angebot mit dem besten Verhältnis aus Preis, Qualität und Emissionsbilanz. Damit wird die Vergabepraxis zugleich ökologisch und ökonomisch rationalisiert.

10. Welche Ausnahmen lässt die AVV Klima zu?
Ausnahmen sind in § 2 Abs. 3 AVV Klima geregelt. Danach darf die Emissionsbewertung entfallen, wenn sie mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist oder keine belastbaren Daten verfügbar sind. Gleiches gilt, wenn der Beschaffungsgegenstand nur geringe Klimarelevanz hat. Ferner kann bei dringendem öffentlichen Interesse von den Produktverboten der Anlage 1 AVV Klima abgewichen werden. Jede Ausnahme bedarf einer schriftlichen Begründung im Vergabevermerk. Ohne diese droht ein Verstoß gegen das Transparenzgebot. In Nachprüfungsverfahren prüfen Vergabekammern regelmäßig, ob die Ausnahme korrekt dokumentiert wurde.

11. Welche Bedeutung hat die Anlage 1 der AVV Klima?
Anlage 1 enthält eine Negativliste von Produkten, die aufgrund ihres hohen CO₂-Fußabdrucks grundsätzlich nicht mehr beschafft werden dürfen. Dazu zählen Heizpilze, Einweggeschirr, Getränke in Dosen und andere klimaschädliche Produkte. Ziel ist die sofortige Vermeidung unnötiger Emissionen. Ausnahmen sind nur bei zwingendem öffentlichen Interesse erlaubt, etwa im Katastrophenschutz. Die Liste wird regelmäßig aktualisiert und orientiert sich an den Empfehlungen des Umweltbundesamtes. Sie wirkt faktisch wie ein Beschaffungsverbot für klimaschädliche Güter und setzt ein starkes Signal für nachhaltige Produktpolitik.

12. Wie beeinflusst die AVV Klima die Leistungsbeschreibung?
Die Leistungsbeschreibung muss das höchstmögliche Energieeffizienzniveau verlangen. Nach § 4 AVV Klima sind technische Spezifikationen funktional zu formulieren, um Innovationen nicht auszuschließen. Gütezeichen dürfen gefordert werden, wenn sie objektive Umweltkriterien abbilden, doch gleichwertige Nachweise sind zu akzeptieren (§ 34 VgV). Damit wird Wettbewerbsneutralität gewahrt. Für Auftraggeber bedeutet dies eine sorgfältige Marktanalyse, für Unternehmen die Pflicht, Nachweise methodisch nachvollziehbar zu gestalten. Unklare oder diskriminierende Vorgaben verstoßen gegen das Transparenzprinzip und können im Rechtsmittelverfahren beanstandet werden.

13. Welche Anforderungen gelten an Zuschlagskriterien?
Zuschlagskriterien müssen objektiv, transparent und mit dem Auftragsgegenstand verknüpft sein. Die AVV Klima verlangt, dass Lebenszykluskosten einschließlich Emissionskosten regelmäßig berücksichtigt werden. Die Gewichtung zwischen Preis, Qualität und Emissionen ist offenzulegen. Ein typisches Modell sieht 60 Prozent Preis, 20 Prozent Qualität und 20 Prozent Emissionskosten vor. Abweichungen sind möglich, müssen aber begründet werden. Unklare oder nachträglich geänderte Gewichtungen verletzen Art. 18 RL 2014/24/EU und § 97 Abs. 1 GWB. Für die Praxis bedeutet das: Alle Bewertungsfaktoren sind im Vergabevermerk dokumentationspflichtig, damit eine Überprüfung durch Nachprüfungsinstanzen möglich bleibt.

14. Welche Rolle spielt die Dokumentation im Vergabevermerk?
Der Vergabevermerk ist das zentrale Kontrollinstrument. Er muss sämtliche klimarelevanten Entscheidungen nachvollziehbar darstellen – von der Bedarfsermittlung über die Emissionsbewertung bis zur Zuschlagsbegründung. Auch Ausnahmen, Datenquellen und Berechnungsmethoden sind zu erläutern. Nach § 8 VgV dient der Vermerk als Nachweis ordnungsgemäßer Verfahrensführung. Fehlende oder unvollständige Dokumentation kann zur Aufhebung des Verfahrens führen. Für Vergabestellen ist daher eine standardisierte Dokumentationsstruktur essenziell, die auch die CO₂-Bewertung integriert.

15. Welche Bedeutung hat die AVV Klima für Unternehmen (Bieter)?
Unternehmen müssen verstehen, dass Preis allein nicht mehr ausschlaggebend ist. Die Emissionsperformance eines Produkts oder einer Dienstleistung kann entscheidend sein. Bieter sollten daher Emissionsdaten, Ökobilanzen oder Zertifikate frühzeitig bereithalten. Plausible und nachvollziehbare Nachweise erhöhen die Wertungschancen. Strategisch klug ist es, Lebenszykluskostenanalysen bereits im Angebotsprozess zu integrieren. Fehlerhafte oder fehlende Nachweise führen hingegen zu Punktverlusten oder Ausschluss. Die AVV Klima eröffnet damit zugleich Risiken und Chancen – wer sie beherrscht, steigert seine Wettbewerbsfähigkeit erheblich.

16. Welche Pflichten treffen Vergabestellen konkret?
Vergabestellen sind verpflichtet, bei jeder Beschaffung die Klimarelevanz zu prüfen, Emissionen zu prognostizieren und diese monetär zu bewerten, soweit vertretbar. Sie müssen die Bewertung transparent dokumentieren, gleichwertige Nachweise anerkennen und die Zuschlagsentscheidung nachvollziehbar begründen. Verstöße gegen diese Pflichten verletzen das Transparenzgebot (§ 97 Abs. 1 GWB) und können zur Unwirksamkeit der Vergabe führen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, die Negativliste zu beachten und Ausnahmen nur im Rahmen des öffentlichen Interesses zuzulassen. Eine lückenlose Dokumentation ist daher unverzichtbar.

17. Wie erfolgt die Veröffentlichung nach AVV Klima auf bund.de?
Alle Ausschreibungen sind gemäß § 37 VgV auf bund.de oder anderen geeigneten Plattformen zu veröffentlichen. Die Bekanntmachung muss alle Zuschlagskriterien einschließlich der Emissionsbewertung enthalten. Fehlen diese Angaben, droht ein Transparenzverstoß. Nach Zuschlag ist eine Bekanntmachung über das Ergebnis des Verfahrens erforderlich. Fehlerhafte Veröffentlichungen können zu Nachprüfungsverfahren führen. Vergabestellen sollten daher interne Checklisten nutzen, um sicherzustellen, dass alle Angaben vollständig und konsistent sind.

18. Wie ist der Rechtsschutz bei Verstößen gegen die AVV Klima ausgestaltet?
Rechtsbehelfe richten sich nach §§ 160 ff. GWB. Unternehmen können Vergabefehler rügen und bei ausbleibender Abhilfe ein Nachprüfungsverfahren beantragen. Streitpunkte betreffen häufig unklare Bewertungsmethoden, fehlende Dokumentation oder diskriminierende Kriterien. Vergabekammern prüfen, ob die AVV Klima ordnungsgemäß angewendet wurde. Wird ein Verstoß festgestellt, kann das Verfahren aufgehoben oder neu aufgerollt werden. Der Rechtsschutz sichert so die Durchsetzung des Klimaschutzgebots im Vergaberecht und schützt zugleich Wettbewerbsinteressen der Unternehmen.

19. Welche Perspektiven und Weiterentwicklungen sind zu erwarten?
Die Bundesregierung plant, die AVV Klima im Zuge des Vergabetransformationsgesetzes weiterzuentwickeln und mit einer umfassenden AVV Nachhaltige Beschaffung zusammenzuführen. Ziel ist eine einheitliche Regelung, die soziale, ökologische und ökonomische Kriterien integriert. Zudem sollen Standardwerte und Emissionsdatenbanken aufgebaut werden, um die Berechnung zu vereinfachen. Auch Länder und Kommunen bereiten eigene Vorschriften vor. Die AVV Klima ist damit ein dynamisches Instrument, das künftig alle Verwaltungsebenen erfassen könnte.

20. Wie trägt die AVV Klima zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie 2025 bei?
Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2025 fordert, dass staatliche Beschaffung konsequent als Hebel für Klimaschutz und Ressourcenschonung genutzt wird. Die AVV Klima setzt diese Zielvorgabe rechtlich um. Sie zwingt Verwaltungen, Emissionen zu berücksichtigen, und stärkt so die Vorbildfunktion des Bundes. Beschaffungen werden zum Motor technologischer Innovation, weil Hersteller klimafreundliche Produkte entwickeln, um Ausschreibungen zu gewinnen. Damit leistet die AVV Klima nicht nur juristisch, sondern auch ökonomisch einen Beitrag zur Transformation hin zu einer klimaneutralen Verwaltung und Wirtschaft.