Arbeitsgemeinschaft im Vergaberecht:
Rechtliche Grundlagen
Begriff und Bedeutung der Arbeitsgemeinschaft
Die Arbeitsgemeinschaft, im Vergaberecht häufig als Bietergemeinschaft bezeichnet, ist ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmen, die sich gemeinsam um einen öffentlichen Auftrag bewerben. Rechtlich handelt es sich dabei nicht um eine eigene Gesellschaftsform, sondern um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) im Sinne der §§ 705 ff. BGB, die durch den gemeinsamen Zweck der Angebotserstellung und Auftragsdurchführung geprägt ist. Im europäischen und nationalen Vergaberecht wird die Zulässigkeit solcher Zusammenschlüsse ausdrücklich anerkannt. Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU bestimmt, dass Bietergemeinschaften nicht diskriminiert werden dürfen und dieselben Chancen wie Einzelbieter haben müssen. In Deutschland konkretisieren §§ 97 ff. GWB und §§ 43, 47 VgV diese Vorgaben, indem sie sicherstellen, dass Arbeitsgemeinschaften im Wettbewerb nicht benachteiligt werden.
Rechtsgrundlagen der Arbeitsgemeinschaft im europäischen Vergaberecht
Die unionsrechtliche Grundlage der Arbeitsgemeinschaft findet sich in der Richtlinie 2014/24/EU, die die Gleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern unabhängig von ihrer Organisationsform festschreibt. Art. 19 Abs. 2 RL 2014/24/EU verbietet ausdrücklich, Zusammenschlüsse vom Verfahren auszuschließen oder ihnen strengere Anforderungen aufzuerlegen. Dies soll sicherstellen, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ihre Ressourcen bündeln können, um an großen öffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrfach entschieden, dass der Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit auch für Bietergemeinschaften gilt, etwa in der Rechtssache C-176/98 „Holst Italia“. Damit ist die Arbeitsgemeinschaft unionsrechtlich verankert und kann auf ein klares Diskriminierungsverbot verweisen, das Auftraggeber bindet.
Nationale Regelungen: Arbeitsgemeinschaften nach GWB und VgV
Auf nationaler Ebene wird die rechtliche Zulässigkeit von Arbeitsgemeinschaften durch § 43 VgV konkretisiert, der die Eignungsanforderungen für Zusammenschlüsse regelt. Danach können sich Unternehmen in jeder Organisationsform am Wettbewerb beteiligen, sofern sie gemeinsam die geforderten Nachweise erbringen. § 47 VgV bestimmt zudem, dass Auftraggeber die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit einer Arbeitsgemeinschaft insgesamt bewerten müssen, sodass die Mitglieder ihre Kapazitäten kumulieren dürfen. Diese Rechtslage entspricht dem Grundsatz des § 97 Abs. 1 GWB, der Transparenz und Wettbewerb sicherstellen soll. Die Vergabekammern haben mehrfach klargestellt, dass ein Ausschluss von Arbeitsgemeinschaften rechtswidrig wäre, wenn er nicht auf objektiven Gründen beruht.
Gesellschaftsrechtliche Einordnung der Arbeitsgemeinschaft
Juristisch wird die Arbeitsgemeinschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) nach §§ 705 ff. BGB qualifiziert, die auf die Durchführung eines öffentlichen Auftrags gerichtet ist. Sie entsteht formlos durch Vereinbarung und wird in der Regel projektbezogen gegründet. Charakteristisch ist die gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder gegenüber dem Auftraggeber, die sowohl vertraglich vereinbart als auch vergaberechtlich gefordert werden kann. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Urteil vom 27.09.2011 (Az. XI ZR 330/10) betont, dass eine Bietergemeinschaft im Außenverhältnis als rechtsfähige GbR handeln kann. Dies bedeutet, dass die Arbeitsgemeinschaft als eigenständige Rechtsträgerin auftritt, obwohl sie auf eine temporäre Kooperation beschränkt ist.
Pflichten der Arbeitsgemeinschaft gegenüber dem Auftraggeber
Eine Arbeitsgemeinschaft unterliegt denselben Pflichten wie ein Einzelbieter, muss jedoch besondere Anforderungen erfüllen. Zentrale Pflicht ist die Abgabe einer verbindlichen Erklärung zur gesamtschuldnerischen Haftung nach § 43 Abs. 2 VgV, die sicherstellt, dass der Auftraggeber im Auftragsfall auf jedes Mitglied zugreifen kann. Zudem sind die internen Organisationsstrukturen offenzulegen, etwa durch Benennung eines federführenden Unternehmens als Vertreter. Auch die Eignungsnachweise nach §§ 44 ff. VgV sind von allen Mitgliedern gemeinsam vorzulegen. Kommt die Arbeitsgemeinschaft diesen Pflichten nicht nach, riskiert sie den Ausschluss aus dem Verfahren. Die Rechtsprechung bestätigt, dass der Auftraggeber eine klare, rechtsverbindliche Erklärung zur Verantwortlichkeit aller Mitglieder verlangen darf.
Rechte der Arbeitsgemeinschaft im Vergabeverfahren
Arbeitsgemeinschaften genießen dieselben Rechte wie Einzelbieter und dürfen nicht diskriminiert werden. Dies umfasst das Recht auf Zugang zu allen Verfahrensunterlagen nach § 29 VgV, die Teilnahme am Wettbewerb unter gleichen Bedingungen sowie den Anspruch auf Nachprüfung nach §§ 160 ff. GWB. Besonders hervorzuheben ist, dass die Mitglieder ihre Ressourcen bündeln dürfen, um Eignungsanforderungen zu erfüllen. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-94/12 „Swm Costruzioni“ ist es unionsrechtswidrig, wenn ein Auftraggeber Bietergemeinschaften strengere Anforderungen auferlegt als Einzelbietern. Damit ist die Rechtsposition von Arbeitsgemeinschaften gestärkt, und Auftraggeber sind verpflichtet, diese Zusammenschlüsse fair zu behandeln.
Wettbewerbsrechtliche Grenzen der Arbeitsgemeinschaft
Trotz ihrer Zulässigkeit sind Arbeitsgemeinschaften an die Vorgaben des Kartellrechts gebunden. Nach § 1 GWB sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen grundsätzlich unzulässig. Eine Bietergemeinschaft ist daher nur zulässig, wenn sie objektiv erforderlich ist, um den Auftrag auszuführen. Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung (z. B. BGH, Urteil vom 18.02.2003 – KRB 29/02) entschieden, dass Arbeitsgemeinschaften kartellrechtswidrig sind, wenn die beteiligten Unternehmen den Auftrag auch einzeln hätten bewältigen können. Maßgeblich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der geprüft wird, ob die Kooperation sachlich gerechtfertigt ist. Damit wird verhindert, dass Bietergemeinschaften als Mittel zur Wettbewerbsverhinderung missbraucht werden.
Arbeitsgemeinschaften im Bau- und Infrastrukturrecht
Besondere Bedeutung haben Arbeitsgemeinschaften im Bau- und Infrastruktursektor, wo komplexe Projekte häufig die Bündelung von Fachkompetenzen erfordern. Nach § 6a VOB/A können Unternehmen ihre Eignung gemeinsam nachweisen, indem sie technische und personelle Kapazitäten kumulieren. Dies ist insbesondere bei Großprojekten im Straßen- und Hochbau relevant, die ein einzelnes Unternehmen wirtschaftlich oder fachlich nicht allein stemmen könnte. Auftraggeber akzeptieren daher regelmäßig Arbeitsgemeinschaften, verlangen jedoch detaillierte Angaben zu den Verantwortlichkeiten und eine klare Vertretungsregelung. In der Praxis zeigt sich, dass Arbeitsgemeinschaften hier eine Schlüsselrolle spielen, um eine wirtschaftlich sinnvolle und rechtssichere Projektdurchführung zu gewährleisten.
Arbeitsgemeinschaften und Haftungsfragen im Auftragsverhältnis
Im Auftragsverhältnis haften die Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft grundsätzlich gesamtschuldnerisch. Diese Pflicht wird üblicherweise in den Vergabeunterlagen festgeschrieben und entspricht § 421 BGB. Auftraggeber können somit im Schadensfall jedes Mitglied in voller Höhe in Anspruch nehmen, unabhängig von dessen internem Beitrag. Intern können die Mitglieder abweichende Regelungen zur Lastenverteilung treffen, die jedoch keine Wirkung gegenüber dem Auftraggeber entfalten. Die Rechtsprechung stellt klar, dass die gesamtschuldnerische Haftung ein legitimes Mittel ist, um den Auftraggeber vor Risiken zu schützen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie bei Eintritt in eine Arbeitsgemeinschaft nicht nur Chancen, sondern auch erhebliche Haftungsrisiken übernehmen.
Fazit: Chancen und Risiken der Arbeitsgemeinschaft
Die Arbeitsgemeinschaft ist im Vergaberecht ein anerkanntes und rechtlich abgesichertes Instrument, das Unternehmen die Möglichkeit bietet, ihre Ressourcen zu bündeln und an großen Aufträgen teilzunehmen. Sie ist durch europäische und nationale Rechtsquellen geschützt, unterliegt jedoch zugleich strengen kartellrechtlichen Grenzen. Auftraggeber müssen Arbeitsgemeinschaften fair behandeln, dürfen aber klare Anforderungen an Haftung und Organisation stellen. Für Unternehmen eröffnet die Arbeitsgemeinschaft strategische Chancen, birgt jedoch auch Risiken, insbesondere im Hinblick auf Haftung und interne Koordination. Wer hier juristisch fundiert vorgeht, sichert sich Wettbewerbsvorteile und minimiert rechtliche Unsicherheiten.
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FAQ zur Arbeitsgemeinschaft im Vergaberecht
1. Was versteht man unter einer Arbeitsgemeinschaft im Vergaberecht?
Unter einer Arbeitsgemeinschaft, im Vergabekontext auch Bietergemeinschaft genannt, versteht man den Zusammenschluss mehrerer Unternehmen zur gemeinsamen Abgabe eines Angebots. Rechtlich handelt es sich dabei um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) im Sinne der §§ 705 ff. BGB. Charakteristisch ist, dass die Mitglieder ihre personellen, technischen und finanziellen Mittel bündeln, um komplexe öffentliche Aufträge gemeinsam zu bewältigen. Nach § 43 VgV ist die Beteiligung solcher Zusammenschlüsse ausdrücklich zulässig, wobei die Mitglieder gemeinsam die Eignung nachweisen müssen. Europarechtlich garantiert Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, dass Bietergemeinschaften nicht diskriminiert werden dürfen. Damit sind Arbeitsgemeinschaften ein rechtlich anerkanntes Instrument zur Stärkung des Wettbewerbs.
2. Welche Rechtsgrundlagen regeln die Arbeitsgemeinschaft?
Die rechtliche Grundlage ergibt sich aus einem Zusammenspiel von europäischem und nationalem Recht. Unionsrechtlich bestimmt Art. 19 Abs. 2 RL 2014/24/EU, dass Bietergemeinschaften nicht ausgeschlossen werden dürfen. Auf nationaler Ebene konkretisieren § 43 und § 47 VgV die Anforderungen an Zusammenschlüsse. Zudem gilt § 97 GWB, der Transparenz und Wettbewerb sicherstellen soll. Gesellschaftsrechtlich ist die Arbeitsgemeinschaft eine GbR gemäß §§ 705 ff. BGB. Ergänzend enthält die VOB/A im Bauvergaberecht spezielle Vorgaben zur Eignungsgemeinschaft. Die Rechtsprechung des EuGH, etwa im Fall C-176/98 „Holst Italia“, unterstreicht, dass Arbeitsgemeinschaften vollwertige Marktteilnehmer sind.
3. Welche Vorteile bietet eine Arbeitsgemeinschaft für Unternehmen?
Eine Arbeitsgemeinschaft ermöglicht es Unternehmen, ihre Ressourcen zu bündeln und dadurch an Aufträgen teilzunehmen, die sie allein nicht stemmen könnten. Besonders im Bau- und Infrastrukturbereich sind solche Zusammenschlüsse üblich, da sie Fachwissen, Personal und finanzielle Mittel kombinieren. Rechtlich erlaubt § 47 VgV, dass Kapazitäten kumuliert werden, um Eignungsanforderungen zu erfüllen. Dies stärkt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, die durch Kooperation wettbewerbsfähig bleiben. Zudem sichert Art. 19 RL 2014/24/EU, dass Arbeitsgemeinschaften nicht diskriminiert werden dürfen. Damit eröffnet die Rechtsordnung Unternehmen strategische Chancen, ohne ihre Selbstständigkeit vollständig aufzugeben.
4. Welche Risiken bestehen bei der Teilnahme an einer Arbeitsgemeinschaft?
Trotz ihrer Vorteile birgt die Arbeitsgemeinschaft erhebliche rechtliche Risiken. Zentrales Risiko ist die gesamtschuldnerische Haftung, die Auftraggeber regelmäßig fordern (§ 421 BGB). Jedes Mitglied haftet somit für die gesamte Auftragssumme, auch wenn es nur einen Teil der Leistungen erbringt. Hinzu kommt die kartellrechtliche Grenze: Nach § 1 GWB sind Absprachen zur Wettbewerbsbeschränkung unzulässig. Der BGH hat klargestellt (Urteil vom 18.02.2003 – KRB 29/02), dass eine Bietergemeinschaft nur dann zulässig ist, wenn sie objektiv erforderlich ist. Unternehmen, die auch alleine den Auftrag ausführen könnten, laufen Gefahr, dass ihre Kooperation als Kartell gewertet wird.
5. Wie wird eine Arbeitsgemeinschaft gesellschaftsrechtlich eingeordnet?
Gesellschaftsrechtlich handelt es sich bei der Arbeitsgemeinschaft um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) nach §§ 705 ff. BGB. Sie entsteht durch Vertrag zwischen den beteiligten Unternehmen und verfolgt den gemeinsamen Zweck der Angebotserstellung und Auftragsdurchführung. Charakteristisch ist die Gesamthandsgemeinschaft, in der die Mitglieder gleichberechtigt Entscheidungen treffen. Der BGH hat anerkannt, dass eine Bietergemeinschaft nach außen rechtsfähig auftreten kann (BGH, Urteil vom 27.09.2011 – XI ZR 330/10). Damit ist die Arbeitsgemeinschaft eigenständiger Vertragspartner des Auftraggebers, obwohl sie regelmäßig nur für die Dauer eines Projekts besteht.
6. Welche Pflichten haben Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft?
Die Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft sind verpflichtet, eine verbindliche Erklärung über ihre gesamtschuldnerische Haftung abzugeben (§ 43 Abs. 2 VgV). Sie müssen außerdem einen Vertreter benennen, der die Gemeinschaft nach außen vertritt. Weiterhin sind sämtliche Eignungsnachweise gemeinsam vorzulegen (§§ 44 ff. VgV). Intern besteht eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und zur Einhaltung der vereinbarten Beitrags- und Leistungspflichten. Kommt ein Mitglied seinen Pflichten nicht nach, kann dies den Ausschluss der gesamten Gemeinschaft aus dem Verfahren zur Folge haben. Auftraggeber dürfen daher die Vorlage eines detaillierten Gesellschaftsvertrags verlangen, um die Verlässlichkeit sicherzustellen.
7. Welche Rechte haben Arbeitsgemeinschaften gegenüber dem Auftraggeber?
Arbeitsgemeinschaften genießen dieselben Rechte wie Einzelbieter. Sie haben Anspruch auf Zugang zu allen Verfahrensunterlagen (§ 29 VgV), auf Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) und auf Rechtsschutz im Nachprüfungsverfahren (§§ 160 ff. GWB). Der EuGH hat betont, dass Arbeitsgemeinschaften nicht schlechter gestellt werden dürfen als Einzelbieter (C-94/12 „Swm Costruzioni“). Zudem dürfen sie Ressourcen kumulieren, um Eignungsanforderungen zu erfüllen (§ 47 VgV). Diese Rechtsposition stärkt insbesondere kleinere Unternehmen, die sich durch Kooperation am Wettbewerb beteiligen können, ohne dass ihnen zusätzliche Hürden auferlegt werden dürfen.
8. Unterliegen Arbeitsgemeinschaften dem Kartellrecht?
Ja, Arbeitsgemeinschaften unterliegen den Vorgaben des Kartellrechts. Nach § 1 GWB und Art. 101 AEUV sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen unzulässig. Eine Bietergemeinschaft ist daher nur dann rechtmäßig, wenn sie zur Auftragserfüllung objektiv erforderlich ist. Der BGH hat hierzu klargestellt (KRB 29/02), dass Arbeitsgemeinschaften kartellrechtswidrig sind, wenn die beteiligten Unternehmen den Auftrag auch ohne Kooperation bewältigen könnten. Entscheidend ist eine Einzelfallprüfung, ob die Zusammenarbeit eine sachlich gerechtfertigte Synergie darstellt oder lediglich den Wettbewerb einschränkt.
9. Welche Anforderungen stellt die VgV an Arbeitsgemeinschaften?
Die Vergabeverordnung konkretisiert die rechtlichen Anforderungen in §§ 43 und 47 VgV. Nach § 43 VgV dürfen sich Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform zusammenschließen, sofern sie gemeinsam die Eignung nachweisen. § 47 VgV regelt die Möglichkeit der Kapazitätsbündelung. Zudem fordert die VgV regelmäßig eine gesamtschuldnerische Haftungserklärung. Auftraggeber dürfen darüber hinaus verlangen, dass ein bevollmächtigter Vertreter benannt wird, der die Arbeitsgemeinschaft rechtlich bindet. Damit stellt die VgV sicher, dass Arbeitsgemeinschaften gleichberechtigt am Wettbewerb teilnehmen, gleichzeitig aber die Interessen des Auftraggebers geschützt werden.
10. Welche Bedeutung hat das EuGH-Urteil „Holst Italia“ für Arbeitsgemeinschaften?
Im Urteil „Holst Italia“ (C-176/98) stellte der EuGH klar, dass Arbeitsgemeinschaften nicht aufgrund ihrer Struktur vom Verfahren ausgeschlossen werden dürfen. Vielmehr sind sie als vollwertige Marktteilnehmer anzusehen. Dieses Urteil hat die unionsrechtliche Position von Bietergemeinschaften gestärkt, indem es das Diskriminierungsverbot nach Art. 19 Abs. 2 RL 2014/24/EU bestätigt hat. Auftraggeber dürfen daher keine strengeren Anforderungen an Arbeitsgemeinschaften stellen als an Einzelbieter. Diese Rechtsprechung prägt bis heute die nationale Praxis und sichert die Teilnahme von Arbeitsgemeinschaften im Wettbewerb.
11. Wie erfolgt die Haftung in einer Arbeitsgemeinschaft?
Die Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft haften gegenüber dem Auftraggeber regelmäßig gesamtschuldnerisch (§ 421 BGB). Das bedeutet, dass der Auftraggeber jedes Mitglied in voller Höhe in Anspruch nehmen kann, unabhängig von der internen Aufgabenverteilung. Diese gesamtschuldnerische Haftung wird durch § 43 Abs. 2 VgV ausdrücklich gefordert. Intern können die Mitglieder zwar Ausgleichsregelungen vereinbaren, diese haben jedoch keine Wirkung gegenüber dem Auftraggeber. Ziel der gesamtschuldnerischen Haftung ist es, den Auftraggeber vor dem Risiko zu schützen, dass einzelne Mitglieder ihre Verpflichtungen nicht erfüllen.
12. Welche Rolle spielen Arbeitsgemeinschaften im Bauvergaberecht?
Im Bauvergaberecht sind Arbeitsgemeinschaften besonders verbreitet, da große Infrastrukturprojekte oft die Bündelung von Fachwissen erfordern. Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A) sieht in § 6a ausdrücklich vor, dass Unternehmen ihre Eignung gemeinschaftlich nachweisen dürfen. Typisch ist, dass mehrere Bauunternehmen eine Arbeitsgemeinschaft gründen, um komplexe Projekte wie Brücken oder Straßen gemeinsam zu realisieren. Auftraggeber verlangen in solchen Fällen klare Angaben zu Verantwortlichkeiten und eine verlässliche Vertretungsregelung. Arbeitsgemeinschaften sind hier ein bewährtes Instrument, um die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sicherzustellen.
13. Können Arbeitsgemeinschaften ausgeschlossen werden?
Ein Ausschluss ist nur dann zulässig, wenn objektive Gründe vorliegen. Nach § 124 GWB darf ein Unternehmen ausgeschlossen werden, wenn es schwere Verfehlungen begangen hat, etwa durch Kartellverstöße oder unzulässige Absprachen. Dies gilt auch für Arbeitsgemeinschaften. Ein genereller Ausschluss ist jedoch rechtswidrig und verstößt gegen Art. 19 Abs. 2 RL 2014/24/EU. Auftraggeber dürfen Arbeitsgemeinschaften also nicht pauschal benachteiligen. Ein Ausschluss ist nur zulässig, wenn konkrete Gründe nachweisbar sind, etwa eine fehlende Haftungserklärung oder Verstöße gegen Vergabegrundsätze.
14. Wie erfolgt die interne Organisation einer Arbeitsgemeinschaft?
Die interne Organisation wird durch den Gesellschaftsvertrag der GbR geregelt. Typischerweise wird ein federführendes Mitglied benannt, das die Arbeitsgemeinschaft nach außen vertritt. Entscheidungen werden gemeinschaftlich getroffen, wobei die Beiträge und Verantwortlichkeiten klar definiert sind. Intern besteht eine Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit (§ 241 BGB analog). In der Praxis enthalten Verträge Regelungen zu Kostenverteilung, Haftungsausgleich und Streitbeilegung. Für den Auftraggeber ist jedoch allein maßgeblich, dass die Gemeinschaft eine gesamtschuldnerische Haftungserklärung abgibt und einen rechtlich handlungsfähigen Vertreter benennt.
15. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten haben Arbeitsgemeinschaften?
Arbeitsgemeinschaften können wie Einzelbieter Rechtsschutz nach §§ 160 ff. GWB in Anspruch nehmen. Stellt ein Auftraggeber diskriminierende Anforderungen, können sie ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer beantragen. Voraussetzung ist eine vorherige Rüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer steht der Rechtsweg zum Oberlandesgericht offen (§ 171 GWB). Damit verfügen Arbeitsgemeinschaften über ein zweistufiges Rechtsschutzsystem, das ihre Gleichstellung im Vergabeverfahren sicherstellt. Der EuGH hat bestätigt, dass Zusammenschlüsse dieselben Rechtsschutzgarantien wie Einzelbieter genießen müssen.
16. Welche Rolle spielt die Kapazitätsbündelung in Arbeitsgemeinschaften?
Die Kapazitätsbündelung ist ein zentrales Element der Arbeitsgemeinschaft. Nach § 47 VgV dürfen die Mitglieder ihre technischen, finanziellen und personellen Ressourcen zusammenlegen, um die Eignungsanforderungen zu erfüllen. Dies ist insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen von Vorteil, die alleine nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen. Auftraggeber sind verpflichtet, diese Bündelung zu akzeptieren, solange die Nachweise rechtskonform erbracht werden. Verweigert ein Auftraggeber die Anerkennung, verstößt er gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 18 RL 2014/24/EU).
17. Können Arbeitsgemeinschaften Subunternehmer einsetzen?
Ja, Arbeitsgemeinschaften dürfen Subunternehmer beauftragen, soweit dies den Vergabeunterlagen entspricht. Nach § 36 VgV muss jedoch transparent angegeben werden, welche Leistungen durch Subunternehmer erbracht werden. Auch die Eignungsnachweise dieser Subunternehmer sind vorzulegen. Arbeitsgemeinschaften kombinieren damit zwei Formen der Kooperation: die interne Zusammenarbeit der Mitglieder und die externe Einbindung von Subunternehmern. Auftraggeber dürfen den Einsatz von Subunternehmern nicht pauschal ausschließen, sondern lediglich sachlich gerechtfertigte Anforderungen stellen.
18. Welche Besonderheiten gelten bei internationalen Arbeitsgemeinschaften?
Internationale Arbeitsgemeinschaften entstehen häufig bei EU-weiten Ausschreibungen, wenn Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten kooperieren. Nach Art. 19 RL 2014/24/EU dürfen Auftraggeber keine zusätzlichen Hürden aufstellen, nur weil ein Unternehmen im Ausland ansässig ist. Die rechtliche Grundlage bildet in Deutschland weiterhin die GbR nach §§ 705 ff. BGB, auch wenn Mitglieder ausländischem Recht unterliegen. Wichtig ist die klare Vereinbarung einer Vertretungsregelung sowie die gesamtschuldnerische Haftungserklärung. Internationale Arbeitsgemeinschaften sind damit vollwertige Marktteilnehmer, die unionsrechtlich besonders geschützt sind.
19. Wie unterscheiden sich Arbeitsgemeinschaften von Konsortien?
Obwohl die Begriffe oft synonym verwendet werden, gibt es juristische Unterschiede. Ein Konsortium ist in der Regel ein lockerer Zusammenschluss ohne eigene Rechtspersönlichkeit, während die Arbeitsgemeinschaft im Vergaberecht als GbR mit Rechtsfähigkeit anerkannt wird. Der BGH hat entschieden, dass Bietergemeinschaften als rechtsfähige GbR auftreten können (XI ZR 330/10). Konsortien im handelsrechtlichen Sinn werden eher bei Finanzierungen oder Großprojekten genutzt. Im Vergaberecht ist die Arbeitsgemeinschaft die präzisere und rechtlich abgesicherte Form der Kooperation.
20. Welche Empfehlungen gibt es für Unternehmen bei der Gründung einer Arbeitsgemeinschaft?
Unternehmen sollten vor Gründung einer Arbeitsgemeinschaft einen detaillierten Gesellschaftsvertrag abschließen, der Haftung, Kostenverteilung, Verantwortlichkeiten und Streitbeilegung regelt. Zudem muss frühzeitig eine gesamtschuldnerische Haftungserklärung vorbereitet und ein Vertreter benannt werden. Kartellrechtliche Grenzen sind zu beachten: Die Arbeitsgemeinschaft ist nur zulässig, wenn sie zur Auftragserfüllung erforderlich ist (§ 1 GWB). Eine rechtliche Prüfung vor Abgabe des Angebots ist dringend zu empfehlen, um Risiken wie Ausschluss oder Bußgelder zu vermeiden. Wer juristisch fundiert vorgeht, kann die Vorteile der Arbeitsgemeinschaft voll ausschöpfen.
FAQ zur Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht
1. Was bedeutet die Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht?
Die Angemessenheit des Angebots bezeichnet die rechtliche Pflicht des Auftraggebers, sicherzustellen, dass das Angebot eines Bieters sowohl preislich als auch inhaltlich realistisch und rechtlich zulässig ist. Sie dient dem Schutz der öffentlichen Hand vor unseriösen Angeboten und dem Schutz der Bieter vor unfairer Konkurrenz. Rechtsgrundlagen finden sich in § 60 VgV, § 44 UVgO und Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU. Ein Angebot gilt als unangemessen, wenn der Preis ungewöhnlich niedrig ist oder die Leistung objektiv nicht zu den angebotenen Konditionen erbracht werden kann. Auftraggeber müssen solche Angebote prüfen und dokumentieren, bevor sie sie ausschließen.
2. Welche Rechtsgrundlagen regeln die Angemessenheit des Angebots?
Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind § 60 VgV, § 44 UVgO, § 16d VOB/A sowie Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU. Diese Vorschriften verpflichten Auftraggeber, ungewöhnlich niedrige Angebote auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Ergänzend verpflichtet § 97 Abs. 2 GWB zur Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung. Der EuGH hat in mehreren Urteilen, darunter „SAG ELV Slovensko“ (C-599/10), klargestellt, dass Auftraggeber Bieter anhören müssen, bevor ein Ausschluss erfolgen darf. Damit ergibt sich aus dem Zusammenspiel nationaler und europäischer Vorschriften eine klare Prüfpflicht, die Auftraggeber weder ignorieren noch verkürzen dürfen.
3. Wann muss ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebots prüfen?
Eine Prüfung ist zwingend erforderlich, wenn ein Angebot im Verhältnis zu den anderen Angeboten oder zu den üblichen Marktpreisen ungewöhnlich niedrig erscheint (§ 60 Abs. 1 VgV). Auch qualitative Auffälligkeiten wie unrealistisch kurze Ausführungsfristen oder fehlende Kostenansätze lösen eine Prüfungspflicht aus. Der EuGH betont, dass Auftraggeber bereits bei Anhaltspunkten verpflichtet sind, eine Aufklärung einzuholen. Dies gilt unabhängig davon, ob andere Bieter eine Rüge erheben. Unterbleibt die Prüfung trotz bestehender Zweifel, ist das Vergabeverfahren rechtswidrig und im Nachprüfungsverfahren anfechtbar.
4. Welche Rolle spielt § 60 VgV bei der Angemessenheit des Angebots?
§ 60 VgV normiert die Pflicht zur Preisprüfung bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten im Oberschwellenbereich. Auftraggeber müssen den betroffenen Bieter auffordern, seine Kalkulation zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. Der Bieter kann z. B. auf niedrigere Produktionskosten, besondere Effizienz oder Förderungen verweisen. Der Auftraggeber muss diese Angaben objektiv prüfen und dokumentieren. Erst wenn die Erklärung nicht plausibel ist oder Verstöße gegen Rechtsnormen erkennbar sind, darf ein Ausschluss erfolgen. § 60 VgV setzt damit die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU um.
5. Was gilt für die Angemessenheit im Unterschwellenbereich nach UVgO?
Unterhalb der EU-Schwellenwerte regelt § 44 UVgO die Angemessenheitsprüfung. Inhaltlich entspricht die Vorschrift § 60 VgV, sodass auch im Unterschwellenbereich ungewöhnlich niedrige Angebote überprüft werden müssen. Allerdings besteht hier kein förmlicher Rechtsschutz vor den Vergabekammern. Unternehmen können jedoch Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen oder die Fachaufsicht einschalten. Damit besteht auch im nationalen Bereich ein effektives Schutzinstrument, das Auftraggeber verpflichtet, die Angemessenheit sorgfältig zu prüfen und Bieter nicht ohne rechtliches Gehör auszuschließen.
6. Wie prüft ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebotspreises?
Der Auftraggeber fordert den Bieter gemäß § 60 VgV auf, den niedrigen Preis schriftlich zu erklären. Zulässige Begründungen können etwa effiziente Produktionsprozesse, günstigere Einkaufskonditionen, besondere technische Lösungen oder staatliche Subventionen sein. Der Auftraggeber muss diese Angaben auf Plausibilität prüfen und dokumentieren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) verlangt, dass diese Prüfung objektiv und nachvollziehbar erfolgt. Bleiben die Zweifel bestehen oder sind die Erklärungen unzureichend, darf das Angebot ausgeschlossen werden. Eine pauschale Ablehnung ohne Prüfung ist unzulässig und rechtswidrig.
7. Was passiert, wenn ein Angebot unangemessen niedrig ist?
Erweist sich ein Angebot nach Prüfung als unangemessen niedrig und nicht tragfähig, darf der Auftraggeber es ausschließen (§ 60 Abs. 3 VgV). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Leistung bei den angegebenen Preisen nicht ordnungsgemäß erbracht werden kann oder gesetzliche Vorschriften verletzt würden. Der EuGH erlaubt den Ausschluss auch dann, wenn die Unangemessenheit auf Missachtung von Umwelt- oder Sozialstandards beruht. Der Ausschluss ist jedoch nur zulässig, wenn der Bieter zuvor rechtliches Gehör erhalten hat. Ohne Anhörung wäre der Ausschluss ein Verstoß gegen das Vergaberecht.
8. Welche Bedeutung hat das Urteil „SAG ELV Slovensko“ für die Angemessenheit?
In der Rechtssache C-599/10 „SAG ELV Slovensko“ stellte der EuGH klar, dass Auftraggeber bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten eine Aufklärungspflicht trifft. Sie müssen den betroffenen Bieter anhören und dessen Erklärungen objektiv prüfen. Ein Ausschluss ohne vorherige Anhörung verstößt gegen den Transparenzgrundsatz und die unionsrechtliche Gleichbehandlungspflicht. Dieses Urteil hat die Anforderungen an die Angemessenheitsprüfung verschärft und in Deutschland zur klaren Normierung in § 60 VgV geführt. Damit ist heute verbindlich geregelt, dass der Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote nur nach sorgfältiger Prüfung zulässig ist.
9. Welche Dokumentationspflichten bestehen bei der Angemessenheitsprüfung?
§ 8 VgV und § 7 UVgO verpflichten Auftraggeber, die Prüfung der Angemessenheit vollständig zu dokumentieren. Dies umfasst die Aufforderung an den Bieter, die vorgelegten Erklärungen, die Bewertung durch die Vergabestelle und die abschließende Entscheidung. Der BGH (X ZR 97/19) hat hervorgehoben, dass eine unzureichende Dokumentation die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gefährdet. Unternehmen haben Anspruch auf Einsicht in die Dokumentation, soweit dies zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist. Eine lückenhafte Dokumentation macht das Vergabeverfahren angreifbar und kann zur Aufhebung durch die Vergabekammer führen.
10. Können qualitative Aspekte zur Unangemessenheit führen?
Ja, qualitative oder technische Aspekte können ebenfalls ein Angebot unangemessen machen. § 60 Abs. 2 VgV sieht ausdrücklich vor, dass Angebote ausgeschlossen werden können, wenn sie gegen geltende Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrechtsnormen verstoßen. Auch eine technisch unrealistische Leistungserbringung kann zur Unangemessenheit führen. Der BGH (X ZR 78/07) hat entschieden, dass Angebote ausgeschlossen werden dürfen, die objektiv nicht erfüllbar sind. Auftraggeber müssen daher nicht nur Preise, sondern auch die technische und qualitative Machbarkeit prüfen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie realistische und rechtlich einwandfreie Leistungen anbieten müssen.
11. Welche Rolle spielt die EU-Richtlinie 2014/24/EU?
Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU schreibt den Mitgliedstaaten verbindlich vor, ungewöhnlich niedrige Angebote zu prüfen. Sie betont die Pflicht zur Anhörung des betroffenen Bieters und nennt mögliche Gründe für niedrige Preise, wie effiziente Verfahren oder technische Lösungen. Gleichzeitig erlaubt sie den Ausschluss, wenn die Unangemessenheit auf Gesetzesverstößen beruht. Deutschland hat diese Vorgaben in § 60 VgV umgesetzt. Der EuGH überwacht die einheitliche Anwendung und stellt sicher, dass Bieter europaweit vergleichbaren Rechtsschutz genießen. Damit ist die Richtlinie der zentrale unionsrechtliche Rahmen für die Angemessenheitsprüfung.
12. Was passiert, wenn die Angemessenheit nicht geprüft wird?
Unterlässt ein Auftraggeber trotz Verdachts die Prüfung, liegt ein Verstoß gegen § 60 VgV und Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU vor. Dies macht die Zuschlagsentscheidung rechtswidrig und eröffnet unterlegenen Bietern die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten (§ 160 GWB). Das OLG Düsseldorf (Verg 24/18) hat klargestellt, dass eine unterlassene Prüfung zur Aufhebung der Vergabe führt. Auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche sind denkbar, wenn ein Unternehmen ohne Prüfung ausgeschlossen wurde. Auftraggeber sind daher verpflichtet, jeden Verdacht ernst zu nehmen und die Prüfung lückenlos durchzuführen.
13. Welche Rechte haben Unternehmen bei einer Angemessenheitsprüfung?
Unternehmen haben das Recht, angehört zu werden und ihre Preise zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. § 60 Abs. 1 Satz 2 VgV verpflichtet Auftraggeber, Bietern rechtliches Gehör zu gewähren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) hat dies ausdrücklich bestätigt. Unternehmen können ihre Kalkulationen durch Effizienzvorteile, Skaleneffekte oder andere legitime Gründe erklären. Wird das Angebot dennoch ausgeschlossen, haben Unternehmen die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen und ein Nachprüfungsverfahren zu führen. Damit ist die Angemessenheitsprüfung ein Instrument, das nicht nur Auftraggeber, sondern auch die Rechte der Unternehmen schützt.
14. Dürfen Angebote allein wegen niedriger Preise ausgeschlossen werden?
Nein, ein Ausschluss allein aufgrund niedriger Preise ist unzulässig. Auftraggeber müssen dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 60 Abs. 1 VgV). Der EuGH (C-599/10) betont, dass ein pauschaler Ausschluss ohne Anhörung gegen den Transparenzgrundsatz verstößt. Nur wenn die Erklärung unzureichend ist oder Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften bestehen, ist ein Ausschluss möglich. Niedrige Preise können also durchaus angemessen sein, wenn sie plausibel begründet werden. Auftraggeber dürfen Angebote daher nicht vorschnell ausschließen, sondern müssen stets eine objektive Prüfung vornehmen.
15. Welche Folgen hat ein Ausschluss wegen Unangemessenheit?
Ein Ausschluss wegen Unangemessenheit führt dazu, dass das betroffene Unternehmen nicht weiter am Verfahren teilnimmt. Dies ist rechtlich nur zulässig, wenn die Prüfung nach § 60 VgV ordnungsgemäß durchgeführt und dokumentiert wurde. Wird ein Unternehmen zu Unrecht ausgeschlossen, kann es ein Nachprüfungsverfahren anstrengen oder Schadensersatz geltend machen (§ 181 GWB). Der Ausschluss hat für Auftraggeber erhebliche Risiken, wenn er nicht rechtssicher erfolgt. Daher ist eine sorgfältige Prüfung und Begründung zwingend erforderlich. Unternehmen können ihre Rechte effektiv verteidigen, wenn der Ausschluss nicht auf einer plausiblen Grundlage beruht.
16. Welche Pflichten hat der Auftraggeber bei der Angemessenheitsprüfung?
Auftraggeber müssen nach § 60 VgV und § 44 UVgO alle Angebote auf ihre Angemessenheit prüfen, wenn Anzeichen für Unangemessenheit vorliegen. Sie sind verpflichtet, den betroffenen Bieter anzuhören, seine Erklärung objektiv zu bewerten und das Ergebnis zu dokumentieren. Zudem müssen sie prüfen, ob das Angebot gegen Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrecht verstößt. Der EuGH betont, dass diese Pflichten unionsrechtlich verankert sind und nicht verkürzt werden dürfen. Unterlassen Auftraggeber diese Prüfung, riskieren sie nicht nur die Aufhebung des Verfahrens, sondern auch Beanstandungen durch Rechnungshöfe oder Aufsichtsbehörden.
17. Wie können Unternehmen gegen eine fehlerhafte Prüfung vorgehen?
Unternehmen können gegen eine fehlerhafte Prüfung oberhalb der Schwellenwerte ein Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB einleiten. Voraussetzung ist eine Rüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB innerhalb von zehn Tagen. Unterhalb der Schwellenwerte können Unternehmen Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen. Zudem können sie die Fachaufsicht einschalten. Die Rechtsprechung zeigt, dass fehlerhafte Prüfungen regelmäßig zur Aufhebung der Vergabe führen. Unternehmen sollten daher Verstöße frühzeitig rügen und notfalls rechtliche Schritte einleiten, um ihre Rechte zu sichern.
18. Welche Bedeutung hat die Lebenszykluskostenbetrachtung bei der Angemessenheit?
Die Lebenszykluskostenbetrachtung nach § 59 VgV ermöglicht es Auftraggebern, nicht nur den Anschaffungspreis, sondern auch Betriebskosten, Energieverbrauch und Entsorgungskosten zu berücksichtigen. Dies führt zu einer realistischen Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit eines Angebots. Ein Angebot kann unangemessen sein, wenn es zwar einen niedrigen Anschaffungspreis, aber extrem hohe Folgekosten verursacht. Der EuGH erlaubt ausdrücklich die Berücksichtigung solcher Kriterien, sofern sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Unternehmen sollten daher ihre Kalkulationen auch im Hinblick auf Lebenszykluskosten plausibel darlegen.
19. Welche Risiken bestehen für Auftraggeber bei Nichtbeachtung der Angemessenheit?
Wenn Auftraggeber die Angemessenheit nicht prüfen, riskieren sie die Rechtswidrigkeit der Vergabe. Unterlegene Bieter können ein Nachprüfungsverfahren einleiten, und Gerichte oder Vergabekammern heben die Vergabe regelmäßig auf. Zudem drohen Beanstandungen durch Rechnungshöfe, Schadensersatzforderungen (§ 181 GWB) und Verzögerungen bei der Projektdurchführung. Auch der Verlust von Fördermitteln ist möglich, wenn die Vergabevorschriften nicht eingehalten werden. Auftraggeber müssen daher die Angemessenheit sorgfältig prüfen und dokumentieren, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken zu vermeiden.
20. Warum ist die Angemessenheit des Angebots für Unternehmen wichtig?
Für Unternehmen ist die Angemessenheit entscheidend, weil sie sicherstellt, dass Wettbewerber keine unrealistischen Dumpingpreise anbieten können. Sie schützt vor unfairer Konkurrenz und gewährleistet faire Marktbedingungen. Unternehmen können sich darauf verlassen, dass Auftraggeber ungewöhnlich niedrige Angebote prüfen und unfaire Praktiken unterbinden. Gleichzeitig haben sie das Recht, ihre eigenen günstigen Preise plausibel zu erläutern und damit am Verfahren teilzunehmen. Die Angemessenheit ist somit ein Schutzinstrument für redliche Anbieter und ein zentrales Element des fairen Wettbewerbs im Vergaberecht.