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Auftragsarten im Vergaberecht: Definition & Rechtsgrundlagen

Bedeutung der Auftragsarten im Vergaberecht

Die Auftragsarten sind ein zentrales Konzept des Vergaberechts, da sie die rechtliche Einordnung öffentlicher Beschaffungen bestimmen und maßgeblich für die Anwendbarkeit der Vergaberegeln sind. Nach § 103 GWB unterscheidet das deutsche Recht zwischen Lieferaufträgen, Dienstleistungsaufträgen, Bauaufträgen und Konzessionen. Diese Differenzierung ist entscheidend, da unterschiedliche Verfahrensregeln gelten und sowohl nationale als auch europäische Vorschriften zu beachten sind. Die Richtlinie 2014/24/EU definiert die Auftragsarten unionsweit einheitlich und sichert dadurch eine Harmonisierung der Vergabepraxis in den Mitgliedstaaten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Einordnung in zahlreichen Urteilen konkretisiert und damit zur Rechtsklarheit beigetragen. Unternehmen und Auftraggeber müssen die Auftragsarten präzise einordnen, um Vergabefehler zu vermeiden, die zu Nachprüfungsverfahren oder zur Unwirksamkeit des Vertrages führen können.

Europarechtliche Grundlagen der Auftragsarten

Die unionsrechtliche Grundlage der Auftragsarten findet sich in der Richtlinie 2014/24/EU, die öffentliche Aufträge in Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterteilt. Art. 2 Abs. 1 RL 2014/24/EU enthält eine einheitliche Definition, die in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gilt und in nationales Recht umgesetzt werden muss. Bauaufträge umfassen nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RL 2014/24/EU insbesondere die Ausführung oder Planung von Bauwerken, Lieferaufträge den Erwerb von Waren, und Dienstleistungsaufträge sämtliche nicht in Bau- oder Lieferaufträge fallenden Leistungen. Konzessionen werden durch die Richtlinie 2014/23/EU gesondert geregelt. Der EuGH hat mehrfach betont, dass die Einordnung in die richtige Auftragsart keine bloße Formalität ist, sondern erhebliche Rechtsfolgen für das Verfahren hat, etwa im Urteil „Auroux“ (C-220/05).

Nationale Regelungen: § 103 GWB als zentrale Vorschrift

In Deutschland definiert § 103 GWB die Auftragsarten im Detail. Bauaufträge (§ 103 Abs. 3 GWB) betreffen die Errichtung, Sanierung oder den Umbau von Bauwerken. Lieferaufträge (§ 103 Abs. 2 GWB) beziehen sich auf den Kauf, die Miete oder das Leasing von Waren. Dienstleistungsaufträge (§ 103 Abs. 1 GWB) erfassen alle sonstigen Leistungen, die nicht Bau- oder Lieferaufträge sind. Konzessionen sind in § 105 GWB geregelt und zeichnen sich dadurch aus, dass das wirtschaftliche Risiko auf den Konzessionär übertragen wird. Diese Differenzierung ist nicht nur theoretischer Natur, sondern bestimmt die Anwendung der Vergabeverordnung (VgV), der Sektorenverordnung (SektVO) oder der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV). Die richtige Einordnung ist daher essenziell für die Wahl des Verfahrens.

Bauaufträge: Rechtliche Grundlagen und Besonderheiten

Bauaufträge sind in § 103 Abs. 3 GWB sowie in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RL 2014/24/EU definiert. Sie betreffen die Ausführung von Bauwerken oder die Erbringung von Bauleistungen, die den funktionalen Anforderungen des Auftraggebers entsprechen. Besonders relevant ist die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A), die die besonderen Anforderungen an Bauvergaben konkretisiert. Der EuGH hat im Urteil „Auroux“ (C-220/05) klargestellt, dass auch die Übertragung von Bauleistungen an private Investoren unter bestimmten Umständen einen öffentlichen Bauauftrag darstellen kann. Für Auftraggeber bedeutet dies, dass auch städtebauliche Projekte oder öffentlich-private Partnerschaften vergaberechtlich relevant sein können.

Lieferaufträge: Definition und Abgrenzung

Lieferaufträge sind nach § 103 Abs. 2 GWB alle Verträge, die den Kauf, die Miete, das Leasing oder die Pacht von Waren zum Gegenstand haben. Sie umfassen auch die Lieferung von Waren mit begleitenden Dienstleistungen, solange diese nur Nebenleistungen darstellen. Typische Beispiele sind die Beschaffung von IT-Systemen, Fahrzeugen oder medizinischen Geräten. Entscheidend ist die Abgrenzung zu Dienstleistungsaufträgen: Wenn die Dienstleistungen überwiegen, handelt es sich nicht um einen Lieferauftrag. Der EuGH hat in der Entscheidung „Helmut Müller“ (C-451/08) betont, dass die Abgrenzung anhand des überwiegenden Vertragszwecks vorzunehmen ist.

Dienstleistungsaufträge: Weite Kategorie im Vergaberecht

Dienstleistungsaufträge sind nach § 103 Abs. 1 GWB alle Aufträge, die keine Bau- oder Lieferaufträge sind. Sie stellen daher eine Auffangkategorie dar und sind besonders vielfältig. Beispiele sind Beratungsleistungen, IT-Dienstleistungen, Bewachungsdienste oder soziale Dienstleistungen. Die Richtlinie 2014/24/EU unterscheidet innerhalb dieser Kategorie zwischen „besonderen Dienstleistungen“ (Art. 74 ff. RL 2014/24/EU) und regulären Dienstleistungen. Besondere Dienstleistungen, etwa im sozialen oder kulturellen Bereich, unterliegen vereinfachten Vergaberegeln. Der EuGH hat in mehreren Urteilen betont, dass diese weite Kategorie im Einklang mit den Grundsätzen der Transparenz und Nichtdiskriminierung auszulegen ist.

Konzessionen: Abgrenzung zu öffentlichen Aufträgen

Konzessionen sind nach § 105 GWB und Art. 5 RL 2014/23/EU definiert. Sie unterscheiden sich von öffentlichen Aufträgen dadurch, dass das wirtschaftliche Risiko der Leistungserbringung auf den Konzessionär übergeht. Typische Beispiele sind die Vergabe von Stromnetzen, die Bewirtschaftung öffentlicher Parkhäuser oder die Konzession für Gastronomiebetriebe in öffentlichen Einrichtungen. Der EuGH (C-274/09 „Stadt Halle“) hat klargestellt, dass die Abgrenzung von Konzessionen und öffentlichen Aufträgen entscheidend für die Anwendung der Vergaberichtlinien ist. Für Auftraggeber bedeutet dies, dass die Übertragung von Risiken sorgfältig dokumentiert werden muss, um rechtliche Klarheit zu schaffen.

Rechtliche Konsequenzen der Einordnung von Auftragsarten

Die richtige Einordnung einer Beschaffung in die passende Auftragsart ist keine theoretische Übung, sondern hat erhebliche praktische und rechtliche Konsequenzen. Sie bestimmt, ob die VgV, die SektVO oder die KonzVgV Anwendung finden und welche Schwellenwerte (§ 106 GWB) maßgeblich sind. Fehlerhafte Einordnungen führen zu Vergabeverstößen, die nach §§ 160 ff. GWB durch die Vergabekammern überprüft werden können. Der BGH hat betont, dass Auftraggeber die Wahl der Auftragsart nachvollziehbar dokumentieren müssen, da sonst die Gefahr einer erfolgreichen Rüge besteht. Für Unternehmen ist die Einordnung relevant, weil sie bestimmt, welche Rechte und Pflichten im Verfahren gelten.

Auftragsarten im europäischen Binnenmarkt

Die Harmonisierung der Auftragsarten durch die Richtlinien 2014/24/EU und 2014/23/EU dient der Sicherstellung des freien Wettbewerbs im Binnenmarkt. Art. 56 AEUV garantiert die Dienstleistungsfreiheit, sodass Unternehmen aus allen Mitgliedstaaten unabhängig von der Auftragsart teilnehmen dürfen. Nationale Sonderregelungen, die bestimmte Unternehmen ausschließen, sind unionsrechtswidrig. Der EuGH hat in „Coname“ (C-231/03) klargestellt, dass die Einordnung von Aufträgen im Einklang mit den Grundfreiheiten stehen muss. Damit wird die Einordnung von Auftragsarten nicht nur zu einer vergaberechtlichen, sondern auch zu einer europarechtlichen Frage.

Fazit: Auftragsarten als Schlüssel zur Vergabepraxis

Die Auftragsarten sind das Fundament des Vergaberechts. Sie bestimmen die Anwendbarkeit der relevanten Vorschriften, die Wahl der Verfahrensart und die Rechte der beteiligten Unternehmen. § 103 GWB setzt die unionsrechtlichen Vorgaben um und differenziert klar zwischen Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sowie Konzessionen. Die Rechtsprechung von EuGH und BGH konkretisiert diese Kategorien und zeigt, dass die richtige Einordnung eine zentrale Voraussetzung für rechtssichere Vergabeverfahren ist. Für Auftraggeber bedeutet dies, dass sie die Auftragsarten sorgfältig prüfen und dokumentieren müssen. Unternehmen wiederum sollten ihre Rechte kennen, um Fehler im Verfahren zu rügen und ihre Beteiligung rechtssicher zu gestalten.

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FAQ zu Auftragsarten im Vergaberecht

1. Was versteht man unter Auftragsarten im Vergaberecht?

Auftragsarten sind die rechtlichen Kategorien, in die öffentliche Aufträge eingeordnet werden. Sie bestimmen maßgeblich, welche Vorschriften gelten und welche Verfahrensarten anzuwenden sind. Nach § 103 GWB unterscheidet das deutsche Vergaberecht zwischen Bauaufträgen, Lieferaufträgen und Dienstleistungsaufträgen. Daneben regelt § 105 GWB Konzessionen als besondere Form der Auftragsvergabe. Die Richtlinie 2014/24/EU definiert diese Kategorien unionsweit und sichert damit die Harmonisierung im Binnenmarkt. Für Auftraggeber ist die richtige Einordnung von entscheidender Bedeutung, weil sie Schwellenwerte, Verfahrenspflichten und Dokumentationsanforderungen vorgibt. Unternehmen wiederum müssen die Auftragsart kennen, um ihre Rechte im Vergabeverfahren korrekt wahrnehmen und gegebenenfalls Rechtsmittel ergreifen zu können.


2. Welche gesetzlichen Grundlagen regeln Auftragsarten?

Die maßgebliche nationale Grundlage ist § 103 GWB, der die drei klassischen Auftragsarten Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge definiert. Konzessionen sind in § 105 GWB normiert. Ergänzend enthalten die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO) und die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) weitere Konkretisierungen. Europarechtlich regelt die Richtlinie 2014/24/EU die Einteilung in Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge, während die Richtlinie 2014/23/EU die Konzessionen behandelt. Der EuGH hat in zahlreichen Urteilen – etwa „Auroux“ (C-220/05) und „Pressetext“ (C-454/06) – die Auslegung präzisiert. Damit ergibt sich ein mehrschichtiges Regelungsgefüge, das Auftraggeber und Unternehmen gleichermaßen bindet.


3. Welche Auftragsarten unterscheidet das Vergaberecht?

Das Vergaberecht unterscheidet grundsätzlich zwischen vier Auftragsarten: Bauaufträge, Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Konzessionen. Bauaufträge betreffen die Errichtung, Sanierung oder Planung von Bauwerken. Lieferaufträge beziehen sich auf den Kauf, die Miete oder das Leasing von Waren. Dienstleistungsaufträge erfassen alle übrigen Leistungen, die nicht Bau- oder Lieferaufträge sind. Konzessionen zeichnen sich dadurch aus, dass das wirtschaftliche Risiko ganz oder teilweise auf den Konzessionär übergeht. Diese Einordnung ist in § 103 und § 105 GWB sowie in den EU-Richtlinien verbindlich geregelt. Jede Auftragsart unterliegt spezifischen Regelungen zu Schwellenwerten und Verfahrensarten.


4. Wie werden Bauaufträge rechtlich definiert?

Bauaufträge sind in § 103 Abs. 3 GWB und in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RL 2014/24/EU definiert. Sie umfassen die Ausführung oder Planung von Bauwerken sowie die Erbringung von Bauleistungen, die den funktionalen Anforderungen des Auftraggebers entsprechen. Der Begriff ist weit gefasst und schließt auch die Übertragung von Bauleistungen an private Investoren ein, wenn die öffentliche Hand maßgeblichen Einfluss auf Planung oder Finanzierung hat. Der EuGH hat dies im Urteil „Auroux“ (C-220/05) bestätigt. Damit wird sichergestellt, dass auch komplexe Bau- und Infrastrukturprojekte, einschließlich öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP), in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen.


5. Was sind Lieferaufträge im Vergaberecht?

Lieferaufträge sind nach § 103 Abs. 2 GWB alle Verträge über den Kauf, die Miete, die Pacht oder das Leasing von Waren. Sie können auch Dienstleistungen umfassen, wenn diese lediglich Nebenleistungen zur Lieferung darstellen. Typische Beispiele sind die Beschaffung von Fahrzeugen, IT-Systemen oder medizinischen Geräten. Die Abgrenzung zu Dienstleistungsaufträgen erfolgt nach dem überwiegenden Vertragszweck. Überwiegen die Dienstleistungen, liegt kein Lieferauftrag vor. Der EuGH hat in der Entscheidung „Helmut Müller“ (C-451/08) klargestellt, dass die Bewertung stets anhand des Vertragsgegenstandes vorzunehmen ist. Lieferaufträge sind häufig die am weitesten verbreitete Auftragsart im öffentlichen Beschaffungswesen.


6. Wie werden Dienstleistungsaufträge abgegrenzt?

Dienstleistungsaufträge sind in § 103 Abs. 1 GWB geregelt und stellen eine Auffangkategorie dar, da sie alle Leistungen erfassen, die keine Bau- oder Lieferaufträge sind. Sie umfassen eine große Bandbreite, von Beratungsleistungen über IT-Dienstleistungen bis hin zu Sicherheits- oder Entsorgungsdiensten. Die Richtlinie 2014/24/EU unterscheidet zwischen regulären und besonderen Dienstleistungen, wobei letztere vereinfachten Regeln unterliegen (Art. 74 ff. RL 2014/24/EU). Die Abgrenzung erfolgt nach dem Schwerpunkt des Vertrags. Wenn Dienstleistungen überwiegen, liegt ein Dienstleistungsauftrag vor, auch wenn Lieferungen enthalten sind. Diese weite Definition sichert, dass alle relevanten Märkte dem Wettbewerbsprinzip unterliegen.


7. Was unterscheidet Konzessionen von öffentlichen Aufträgen?

Konzessionen sind in § 105 GWB und in Art. 5 RL 2014/23/EU geregelt. Der wesentliche Unterschied zu öffentlichen Aufträgen besteht darin, dass das wirtschaftliche Risiko der Leistungserbringung auf den Konzessionär übergeht. Während der Auftragnehmer bei einem öffentlichen Auftrag Anspruch auf eine Vergütung hat, erwirtschaftet der Konzessionär seine Einnahmen überwiegend aus der Nutzung durch Dritte. Typische Beispiele sind die Vergabe von Strom- oder Gasnetzen oder die Bewirtschaftung öffentlicher Parkhäuser. Der EuGH („Stadt Halle“, C-26/03) hat betont, dass die Risikoverlagerung das zentrale Abgrenzungskriterium ist. Konzessionen unterliegen der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV).


8. Welche Rolle spielen Auftragsarten für die Schwellenwerte?

Die Einordnung in eine Auftragsart ist entscheidend für die Anwendung der EU-Schwellenwerte (§ 106 GWB). Diese Schwellenwerte legen fest, ab welchem Auftragswert ein europaweites Vergabeverfahren durchzuführen ist. Für Bauaufträge gilt ein höherer Schwellenwert als für Liefer- und Dienstleistungsaufträge. Konzessionen haben eigene Schwellenwerte nach der RL 2014/23/EU. Eine falsche Einordnung führt dazu, dass entweder ein Verfahren rechtswidrig unterlassen oder unnötig kompliziert durchgeführt wird. Vergabekammern und Gerichte prüfen daher streng, ob Auftraggeber die richtige Auftragsart und den entsprechenden Schwellenwert angesetzt haben.


9. Welche rechtlichen Folgen hat eine falsche Einordnung von Auftragsarten?

Eine fehlerhafte Einordnung kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Wird ein Auftrag fälschlicherweise als Lieferauftrag behandelt, obwohl es sich um einen Bauauftrag handelt, kann dies zur Unwirksamkeit des Vergabeverfahrens führen (§ 135 GWB). Unternehmen können die Entscheidung im Nachprüfungsverfahren nach §§ 160 ff. GWB angreifen. Der BGH und der EuGH haben mehrfach klargestellt, dass die richtige Einordnung dokumentiert und begründet sein muss. Fehlt diese, drohen nicht nur Rechtsfolgen, sondern auch Schadensersatzansprüche nach § 181 GWB. Auftraggeber tragen daher die volle Verantwortung für die korrekte Zuordnung.


10. Wie beeinflusst die Auftragsart die Wahl des Vergabeverfahrens?

Die Auftragsart bestimmt, ob die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO), die KonzVgV oder die VOB/A Anwendung finden. Bauaufträge unterliegen häufig der VOB/A, Liefer- und Dienstleistungsaufträge der VgV. Konzessionen fallen in den Anwendungsbereich der KonzVgV. Auch die Wahl zwischen offenen Verfahren, nichtoffenen Verfahren oder Verhandlungsverfahren hängt von der Auftragsart ab. Die Vergabekammern prüfen im Streitfall, ob die gewählte Verfahrensart zulässig war. Eine falsche Wahl kann zur Anfechtbarkeit des gesamten Vergabeverfahrens führen.


11. Welche Bedeutung haben Auftragsarten für die Vertragsgestaltung?

Die Einordnung in eine Auftragsart beeinflusst nicht nur das Verfahren, sondern auch die Vertragsgestaltung. Bauverträge unterliegen regelmäßig den Regelungen der VOB/B, Lieferverträge den Vorschriften des Kaufrechts (§§ 433 ff. BGB) und Dienstleistungsverträge den §§ 611 ff. BGB. Konzessionen haben eigene rechtliche Besonderheiten, insbesondere im Hinblick auf das wirtschaftliche Risiko. Auftraggeber und Unternehmen müssen daher die Auftragsart von Anfang an berücksichtigen, um rechtssichere Vertragsbedingungen zu schaffen. Eine falsche Einordnung kann später zu Streitigkeiten über Rechte und Pflichten führen.


12. Wie wirken sich Auftragsarten auf den Rechtsschutz aus?

Auftragsarten beeinflussen, welche Nachprüfungsinstanzen zuständig sind und welche Rechtsgrundlagen gelten. Unternehmen können Vergabeverstöße nach §§ 160 ff. GWB rügen, wobei die Rechtslage je nach Auftragsart variieren kann. Im Bereich der Konzessionen greifen zusätzlich die Vorschriften der KonzVgV. Der EuGH hat betont, dass effektiver Rechtsschutz nach Art. 47 EU-Grundrechtecharta unionsweit gewährleistet sein muss. Unternehmen müssen daher prüfen, ob sie gegen Fehler in der Einordnung oder Durchführung vorgehen können.


13. Welche Beispiele für Bauaufträge gibt es?

Typische Bauaufträge sind die Errichtung öffentlicher Gebäude, die Sanierung von Straßen oder die Modernisierung von Schulen. Auch Planungsleistungen können Teil eines Bauauftrags sein, wenn sie unmittelbar auf die Errichtung eines Bauwerks abzielen. Der EuGH („Auroux“, C-220/05) hat entschieden, dass auch städtebauliche Verträge Bauaufträge darstellen können, wenn die öffentliche Hand wesentlichen Einfluss auf die Ausführung nimmt. Auftraggeber müssen daher auch bei komplexen Projekten genau prüfen, ob es sich um einen Bauauftrag handelt.


14. Was sind klassische Beispiele für Lieferaufträge?

Lieferaufträge umfassen eine Vielzahl von Beschaffungen, etwa die Anschaffung von Computern, Dienstfahrzeugen, Möbeln oder medizinischen Geräten. Auch die Miete oder das Leasing von Waren fällt hierunter. Dienstleistungen dürfen enthalten sein, solange sie nur Nebenleistungen darstellen, etwa die Installation oder Wartung der gelieferten Geräte. Die Abgrenzung zu Dienstleistungsaufträgen erfolgt danach, ob der Schwerpunkt auf der Lieferung oder auf der Dienstleistung liegt.


15. Welche Dienstleistungen gelten als vergaberechtlich relevant?

Vergaberechtlich relevante Dienstleistungen sind Beratungsleistungen, IT-Services, Reinigungsdienste, Bewachungsdienste, Transportleistungen und soziale Dienstleistungen. Nach Art. 74 RL 2014/24/EU unterliegen bestimmte Dienstleistungen, etwa im sozialen und kulturellen Bereich, vereinfachten Vergaberegeln. Trotzdem gelten auch hier die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung. Auftraggeber müssen daher auch bei Dienstleistungen klare Kriterien und nachvollziehbare Zuschlagsentscheidungen treffen.


16. Wie unterscheiden sich Konzessionen von Bauaufträgen?

Der Unterschied liegt im Risiko. Bei Bauaufträgen trägt der Auftraggeber das wirtschaftliche Risiko und zahlt eine Vergütung. Bei Konzessionen trägt der Konzessionär das Risiko und refinanziert sich durch die Nutzung des Bauwerks oder der Dienstleistung durch Dritte. § 105 GWB und Art. 5 RL 2014/23/EU betonen die Risikoverlagerung als zentrales Kriterium. Der EuGH („Stadt Halle“, C-26/03) bestätigte, dass bereits eine teilweise Übertragung des wirtschaftlichen Risikos eine Konzession begründen kann.


17. Welche Rolle spielt die Dokumentationspflicht bei Auftragsarten?

Die Dokumentationspflicht nach § 8 VgV verpflichtet Auftraggeber, die Einordnung in eine Auftragsart nachvollziehbar zu dokumentieren. Dies umfasst die Begründung, warum ein Auftrag als Bau-, Liefer-, Dienstleistungsauftrag oder Konzession behandelt wurde. Die Vergabekammern verlangen diese Dokumentation regelmäßig, um die Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Fehlt sie oder ist sie unzureichend, gilt das Verfahren als rechtswidrig. Auftraggeber müssen daher besondere Sorgfalt walten lassen.


18. Welche Rolle spielen Auftragsarten im Unterschwellenbereich?

Auch im Unterschwellenbereich sind Auftragsarten relevant, da sie bestimmen, ob die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) oder die VOB/A Anwendung finden. Bauaufträge werden nach der VOB/A vergeben, Liefer- und Dienstleistungsaufträge nach der UVgO. Auch wenn die Verfahren weniger formalisiert sind als im Oberschwellenbereich, gelten die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung. Eine fehlerhafte Einordnung kann auch hier rechtliche Konsequenzen haben.


19. Welche Bedeutung haben EuGH-Urteile für Auftragsarten?

Der EuGH prägt die Auslegung der Auftragsarten maßgeblich. In „Auroux“ (C-220/05) stellte er klar, dass auch städtebauliche Verträge Bauaufträge sein können. In „Pressetext“ (C-454/06) entschied er, dass wesentliche Änderungen eines Auftrags zur Neuausschreibung führen. In „Stadt Halle“ (C-26/03) definierte er die Abgrenzung von Konzessionen. Diese Urteile verdeutlichen, dass die Kategorien dynamisch ausgelegt werden müssen, um Umgehungen des Vergaberechts zu verhindern.


20. Warum sind Auftragsarten im Vergaberecht so wichtig?

Die Auftragsarten sind der Schlüssel zur gesamten Vergabepraxis. Sie bestimmen, welche Rechtsgrundlagen gelten, welche Verfahrensarten zulässig sind und welche Schwellenwerte anzuwenden sind. Fehler bei der Einordnung führen zu Rechtswidrigkeit, Nachprüfungsverfahren und Schadensersatzansprüchen. Für Auftraggeber ist die richtige Zuordnung unverzichtbar, um rechtssichere Verfahren zu gewährleisten. Unternehmen wiederum können nur durch Kenntnis der Auftragsarten ihre Rechte effektiv wahrnehmen. Damit sind Auftragsarten nicht nur juristische Kategorien, sondern das Fundament fairer und transparenter Vergabeprozesse.

FAQ zur Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht

    1. Was bedeutet die Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht?

    Die Angemessenheit des Angebots bezeichnet die rechtliche Pflicht des Auftraggebers, sicherzustellen, dass das Angebot eines Bieters sowohl preislich als auch inhaltlich realistisch und rechtlich zulässig ist. Sie dient dem Schutz der öffentlichen Hand vor unseriösen Angeboten und dem Schutz der Bieter vor unfairer Konkurrenz. Rechtsgrundlagen finden sich in § 60 VgV, § 44 UVgO und Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU. Ein Angebot gilt als unangemessen, wenn der Preis ungewöhnlich niedrig ist oder die Leistung objektiv nicht zu den angebotenen Konditionen erbracht werden kann. Auftraggeber müssen solche Angebote prüfen und dokumentieren, bevor sie sie ausschließen.


    2. Welche Rechtsgrundlagen regeln die Angemessenheit des Angebots?

    Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind § 60 VgV, § 44 UVgO, § 16d VOB/A sowie Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU. Diese Vorschriften verpflichten Auftraggeber, ungewöhnlich niedrige Angebote auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Ergänzend verpflichtet § 97 Abs. 2 GWB zur Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung. Der EuGH hat in mehreren Urteilen, darunter „SAG ELV Slovensko“ (C-599/10), klargestellt, dass Auftraggeber Bieter anhören müssen, bevor ein Ausschluss erfolgen darf. Damit ergibt sich aus dem Zusammenspiel nationaler und europäischer Vorschriften eine klare Prüfpflicht, die Auftraggeber weder ignorieren noch verkürzen dürfen.


    3. Wann muss ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebots prüfen?

    Eine Prüfung ist zwingend erforderlich, wenn ein Angebot im Verhältnis zu den anderen Angeboten oder zu den üblichen Marktpreisen ungewöhnlich niedrig erscheint (§ 60 Abs. 1 VgV). Auch qualitative Auffälligkeiten wie unrealistisch kurze Ausführungsfristen oder fehlende Kostenansätze lösen eine Prüfungspflicht aus. Der EuGH betont, dass Auftraggeber bereits bei Anhaltspunkten verpflichtet sind, eine Aufklärung einzuholen. Dies gilt unabhängig davon, ob andere Bieter eine Rüge erheben. Unterbleibt die Prüfung trotz bestehender Zweifel, ist das Vergabeverfahren rechtswidrig und im Nachprüfungsverfahren anfechtbar.


    4. Welche Rolle spielt § 60 VgV bei der Angemessenheit des Angebots?

    § 60 VgV normiert die Pflicht zur Preisprüfung bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten im Oberschwellenbereich. Auftraggeber müssen den betroffenen Bieter auffordern, seine Kalkulation zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. Der Bieter kann z. B. auf niedrigere Produktionskosten, besondere Effizienz oder Förderungen verweisen. Der Auftraggeber muss diese Angaben objektiv prüfen und dokumentieren. Erst wenn die Erklärung nicht plausibel ist oder Verstöße gegen Rechtsnormen erkennbar sind, darf ein Ausschluss erfolgen. § 60 VgV setzt damit die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU um.


    5. Was gilt für die Angemessenheit im Unterschwellenbereich nach UVgO?

    Unterhalb der EU-Schwellenwerte regelt § 44 UVgO die Angemessenheitsprüfung. Inhaltlich entspricht die Vorschrift § 60 VgV, sodass auch im Unterschwellenbereich ungewöhnlich niedrige Angebote überprüft werden müssen. Allerdings besteht hier kein förmlicher Rechtsschutz vor den Vergabekammern. Unternehmen können jedoch Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen oder die Fachaufsicht einschalten. Damit besteht auch im nationalen Bereich ein effektives Schutzinstrument, das Auftraggeber verpflichtet, die Angemessenheit sorgfältig zu prüfen und Bieter nicht ohne rechtliches Gehör auszuschließen.


    6. Wie prüft ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebotspreises?

    Der Auftraggeber fordert den Bieter gemäß § 60 VgV auf, den niedrigen Preis schriftlich zu erklären. Zulässige Begründungen können etwa effiziente Produktionsprozesse, günstigere Einkaufskonditionen, besondere technische Lösungen oder staatliche Subventionen sein. Der Auftraggeber muss diese Angaben auf Plausibilität prüfen und dokumentieren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) verlangt, dass diese Prüfung objektiv und nachvollziehbar erfolgt. Bleiben die Zweifel bestehen oder sind die Erklärungen unzureichend, darf das Angebot ausgeschlossen werden. Eine pauschale Ablehnung ohne Prüfung ist unzulässig und rechtswidrig.


    7. Was passiert, wenn ein Angebot unangemessen niedrig ist?

    Erweist sich ein Angebot nach Prüfung als unangemessen niedrig und nicht tragfähig, darf der Auftraggeber es ausschließen (§ 60 Abs. 3 VgV). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Leistung bei den angegebenen Preisen nicht ordnungsgemäß erbracht werden kann oder gesetzliche Vorschriften verletzt würden. Der EuGH erlaubt den Ausschluss auch dann, wenn die Unangemessenheit auf Missachtung von Umwelt- oder Sozialstandards beruht. Der Ausschluss ist jedoch nur zulässig, wenn der Bieter zuvor rechtliches Gehör erhalten hat. Ohne Anhörung wäre der Ausschluss ein Verstoß gegen das Vergaberecht.


    8. Welche Bedeutung hat das Urteil „SAG ELV Slovensko“ für die Angemessenheit?

    In der Rechtssache C-599/10 „SAG ELV Slovensko“ stellte der EuGH klar, dass Auftraggeber bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten eine Aufklärungspflicht trifft. Sie müssen den betroffenen Bieter anhören und dessen Erklärungen objektiv prüfen. Ein Ausschluss ohne vorherige Anhörung verstößt gegen den Transparenzgrundsatz und die unionsrechtliche Gleichbehandlungspflicht. Dieses Urteil hat die Anforderungen an die Angemessenheitsprüfung verschärft und in Deutschland zur klaren Normierung in § 60 VgV geführt. Damit ist heute verbindlich geregelt, dass der Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote nur nach sorgfältiger Prüfung zulässig ist.


    9. Welche Dokumentationspflichten bestehen bei der Angemessenheitsprüfung?

    § 8 VgV und § 7 UVgO verpflichten Auftraggeber, die Prüfung der Angemessenheit vollständig zu dokumentieren. Dies umfasst die Aufforderung an den Bieter, die vorgelegten Erklärungen, die Bewertung durch die Vergabestelle und die abschließende Entscheidung. Der BGH (X ZR 97/19) hat hervorgehoben, dass eine unzureichende Dokumentation die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gefährdet. Unternehmen haben Anspruch auf Einsicht in die Dokumentation, soweit dies zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist. Eine lückenhafte Dokumentation macht das Vergabeverfahren angreifbar und kann zur Aufhebung durch die Vergabekammer führen.


    10. Können qualitative Aspekte zur Unangemessenheit führen?

    Ja, qualitative oder technische Aspekte können ebenfalls ein Angebot unangemessen machen. § 60 Abs. 2 VgV sieht ausdrücklich vor, dass Angebote ausgeschlossen werden können, wenn sie gegen geltende Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrechtsnormen verstoßen. Auch eine technisch unrealistische Leistungserbringung kann zur Unangemessenheit führen. Der BGH (X ZR 78/07) hat entschieden, dass Angebote ausgeschlossen werden dürfen, die objektiv nicht erfüllbar sind. Auftraggeber müssen daher nicht nur Preise, sondern auch die technische und qualitative Machbarkeit prüfen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie realistische und rechtlich einwandfreie Leistungen anbieten müssen.


    11. Welche Rolle spielt die EU-Richtlinie 2014/24/EU?

    Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU schreibt den Mitgliedstaaten verbindlich vor, ungewöhnlich niedrige Angebote zu prüfen. Sie betont die Pflicht zur Anhörung des betroffenen Bieters und nennt mögliche Gründe für niedrige Preise, wie effiziente Verfahren oder technische Lösungen. Gleichzeitig erlaubt sie den Ausschluss, wenn die Unangemessenheit auf Gesetzesverstößen beruht. Deutschland hat diese Vorgaben in § 60 VgV umgesetzt. Der EuGH überwacht die einheitliche Anwendung und stellt sicher, dass Bieter europaweit vergleichbaren Rechtsschutz genießen. Damit ist die Richtlinie der zentrale unionsrechtliche Rahmen für die Angemessenheitsprüfung.


    12. Was passiert, wenn die Angemessenheit nicht geprüft wird?

    Unterlässt ein Auftraggeber trotz Verdachts die Prüfung, liegt ein Verstoß gegen § 60 VgV und Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU vor. Dies macht die Zuschlagsentscheidung rechtswidrig und eröffnet unterlegenen Bietern die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten (§ 160 GWB). Das OLG Düsseldorf (Verg 24/18) hat klargestellt, dass eine unterlassene Prüfung zur Aufhebung der Vergabe führt. Auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche sind denkbar, wenn ein Unternehmen ohne Prüfung ausgeschlossen wurde. Auftraggeber sind daher verpflichtet, jeden Verdacht ernst zu nehmen und die Prüfung lückenlos durchzuführen.


    13. Welche Rechte haben Unternehmen bei einer Angemessenheitsprüfung?

    Unternehmen haben das Recht, angehört zu werden und ihre Preise zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. § 60 Abs. 1 Satz 2 VgV verpflichtet Auftraggeber, Bietern rechtliches Gehör zu gewähren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) hat dies ausdrücklich bestätigt. Unternehmen können ihre Kalkulationen durch Effizienzvorteile, Skaleneffekte oder andere legitime Gründe erklären. Wird das Angebot dennoch ausgeschlossen, haben Unternehmen die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen und ein Nachprüfungsverfahren zu führen. Damit ist die Angemessenheitsprüfung ein Instrument, das nicht nur Auftraggeber, sondern auch die Rechte der Unternehmen schützt.


    14. Dürfen Angebote allein wegen niedriger Preise ausgeschlossen werden?

    Nein, ein Ausschluss allein aufgrund niedriger Preise ist unzulässig. Auftraggeber müssen dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 60 Abs. 1 VgV). Der EuGH (C-599/10) betont, dass ein pauschaler Ausschluss ohne Anhörung gegen den Transparenzgrundsatz verstößt. Nur wenn die Erklärung unzureichend ist oder Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften bestehen, ist ein Ausschluss möglich. Niedrige Preise können also durchaus angemessen sein, wenn sie plausibel begründet werden. Auftraggeber dürfen Angebote daher nicht vorschnell ausschließen, sondern müssen stets eine objektive Prüfung vornehmen.


    15. Welche Folgen hat ein Ausschluss wegen Unangemessenheit?

    Ein Ausschluss wegen Unangemessenheit führt dazu, dass das betroffene Unternehmen nicht weiter am Verfahren teilnimmt. Dies ist rechtlich nur zulässig, wenn die Prüfung nach § 60 VgV ordnungsgemäß durchgeführt und dokumentiert wurde. Wird ein Unternehmen zu Unrecht ausgeschlossen, kann es ein Nachprüfungsverfahren anstrengen oder Schadensersatz geltend machen (§ 181 GWB). Der Ausschluss hat für Auftraggeber erhebliche Risiken, wenn er nicht rechtssicher erfolgt. Daher ist eine sorgfältige Prüfung und Begründung zwingend erforderlich. Unternehmen können ihre Rechte effektiv verteidigen, wenn der Ausschluss nicht auf einer plausiblen Grundlage beruht.


    16. Welche Pflichten hat der Auftraggeber bei der Angemessenheitsprüfung?

    Auftraggeber müssen nach § 60 VgV und § 44 UVgO alle Angebote auf ihre Angemessenheit prüfen, wenn Anzeichen für Unangemessenheit vorliegen. Sie sind verpflichtet, den betroffenen Bieter anzuhören, seine Erklärung objektiv zu bewerten und das Ergebnis zu dokumentieren. Zudem müssen sie prüfen, ob das Angebot gegen Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrecht verstößt. Der EuGH betont, dass diese Pflichten unionsrechtlich verankert sind und nicht verkürzt werden dürfen. Unterlassen Auftraggeber diese Prüfung, riskieren sie nicht nur die Aufhebung des Verfahrens, sondern auch Beanstandungen durch Rechnungshöfe oder Aufsichtsbehörden.


    17. Wie können Unternehmen gegen eine fehlerhafte Prüfung vorgehen?

    Unternehmen können gegen eine fehlerhafte Prüfung oberhalb der Schwellenwerte ein Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB einleiten. Voraussetzung ist eine Rüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB innerhalb von zehn Tagen. Unterhalb der Schwellenwerte können Unternehmen Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen. Zudem können sie die Fachaufsicht einschalten. Die Rechtsprechung zeigt, dass fehlerhafte Prüfungen regelmäßig zur Aufhebung der Vergabe führen. Unternehmen sollten daher Verstöße frühzeitig rügen und notfalls rechtliche Schritte einleiten, um ihre Rechte zu sichern.


    18. Welche Bedeutung hat die Lebenszykluskostenbetrachtung bei der Angemessenheit?

    Die Lebenszykluskostenbetrachtung nach § 59 VgV ermöglicht es Auftraggebern, nicht nur den Anschaffungspreis, sondern auch Betriebskosten, Energieverbrauch und Entsorgungskosten zu berücksichtigen. Dies führt zu einer realistischen Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit eines Angebots. Ein Angebot kann unangemessen sein, wenn es zwar einen niedrigen Anschaffungspreis, aber extrem hohe Folgekosten verursacht. Der EuGH erlaubt ausdrücklich die Berücksichtigung solcher Kriterien, sofern sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Unternehmen sollten daher ihre Kalkulationen auch im Hinblick auf Lebenszykluskosten plausibel darlegen.


    19. Welche Risiken bestehen für Auftraggeber bei Nichtbeachtung der Angemessenheit?

    Wenn Auftraggeber die Angemessenheit nicht prüfen, riskieren sie die Rechtswidrigkeit der Vergabe. Unterlegene Bieter können ein Nachprüfungsverfahren einleiten, und Gerichte oder Vergabekammern heben die Vergabe regelmäßig auf. Zudem drohen Beanstandungen durch Rechnungshöfe, Schadensersatzforderungen (§ 181 GWB) und Verzögerungen bei der Projektdurchführung. Auch der Verlust von Fördermitteln ist möglich, wenn die Vergabevorschriften nicht eingehalten werden. Auftraggeber müssen daher die Angemessenheit sorgfältig prüfen und dokumentieren, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken zu vermeiden.


    20. Warum ist die Angemessenheit des Angebots für Unternehmen wichtig?

    Für Unternehmen ist die Angemessenheit entscheidend, weil sie sicherstellt, dass Wettbewerber keine unrealistischen Dumpingpreise anbieten können. Sie schützt vor unfairer Konkurrenz und gewährleistet faire Marktbedingungen. Unternehmen können sich darauf verlassen, dass Auftraggeber ungewöhnlich niedrige Angebote prüfen und unfaire Praktiken unterbinden. Gleichzeitig haben sie das Recht, ihre eigenen günstigen Preise plausibel zu erläutern und damit am Verfahren teilzunehmen. Die Angemessenheit ist somit ein Schutzinstrument für redliche Anbieter und ein zentrales Element des fairen Wettbewerbs im Vergaberecht.