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Angebotsprüfung im Vergaberecht: Pflichten und Rechtsschutz.

Relevanz der Angebotsprüfung im Vergaberecht

Die Angebotsprüfung ist das Herzstück eines jeden Vergabeverfahrens, da sie die Grundlage für die Zuschlagsentscheidung bildet. Nach § 56 Abs. 1 VgV ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, jedes eingereichte Angebot sorgfältig und nachvollziehbar zu prüfen. Dieser Vorgang dient der Sicherstellung von Transparenz und Gleichbehandlung gemäß § 97 Abs. 1 GWB sowie Art. 18 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU. Unternehmen haben ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Angebote nicht nur formal, sondern auch materiell korrekt bewertet werden. Fehler in diesem Stadium führen regelmäßig zu Nachprüfungsverfahren, die den gesamten Vergabeprozess verzögern und erhebliche Kosten verursachen können. Die Angebotsprüfung ist daher nicht nur eine technische Pflicht, sondern auch ein rechtsstaatliches Kontrollinstrument, das die Integrität des öffentlichen Auftragswesens schützt.

Normative Grundlagen: Zusammenspiel von GWB, VgV und EU-Richtlinien

Die rechtliche Basis der Angebotsprüfung ist vielschichtig. Zentral ist das GWB, das in §§ 97 ff. die Grundprinzipien des Vergaberechts normiert und die VgV als Verordnungsrecht stützt. Während § 56 VgV die Pflicht zur Angebotsprüfung regelt, konkretisiert § 57 VgV die zwingenden Ausschlussgründe. Ergänzend legt § 60 VgV die Anforderungen an die Preisprüfung fest, die insbesondere bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten anzuwenden ist. Auf europäischer Ebene spielt die Richtlinie 2014/24/EU eine entscheidende Rolle, da sie in Art. 56 die Prüfpflichten und in Art. 69 die Behandlung auffällig niedriger Angebote normiert. Der EuGH hat diese Pflichten mehrfach konkretisiert, unter anderem im Urteil „SIAC Construction“ (C-19/00), in dem er die Notwendigkeit einer vollständigen und diskriminierungsfreien Angebotsbewertung betont hat. Damit ergibt sich ein kohärentes Normengefüge, das nationale Auftraggeber bindet und den Unternehmen einen justiziablen Anspruch auf ordnungsgemäße Angebotsprüfung vermittelt.

Ablauf und Methodik der Angebotsprüfung

Die Angebotsprüfung folgt einem mehrstufigen Verfahren, das formale, materielle und wirtschaftliche Aspekte umfasst. Zunächst erfolgt eine formale Kontrolle auf Vollständigkeit der Unterlagen, wobei nach § 56 Abs. 2 VgV bestimmte Dokumente nachgefordert werden dürfen, sofern kein zwingender Ausschlussgrund besteht. In einem zweiten Schritt wird die materielle Eignung geprüft: Das Angebot muss den technischen Spezifikationen und den in den Vergabeunterlagen definierten Anforderungen entsprechen. Schließlich erfolgt die wirtschaftliche Bewertung, die sich insbesondere auf die Preisangemessenheit konzentriert. Hier greift § 60 VgV, der Auftraggeber verpflichtet, bei auffällig niedrigen Angeboten eine Aufklärung vom Bieter einzuholen. Methodisch muss die Vergabestelle ihre Bewertung nachvollziehbar dokumentieren, da andernfalls ein Verstoß gegen das Transparenzgebot vorliegt. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 13. 12. 2017 – VII-Verg 42/17) ist eine nicht ausreichend begründete Angebotsbewertung fehlerhaft und eröffnet Unternehmen den Rechtsschutz nach § 160 GWB.

Zwingende Ausschlussgründe und ihre Konsequenzen

§ 57 VgV listet die zwingenden Ausschlussgründe, die von Auftraggebern ohne Ermessensspielraum anzuwenden sind. Dazu gehören unvollständige Angebote, unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen oder Verstöße gegen wesentliche gesetzliche Vorgaben, wie beispielsweise das Mindestlohngesetz. Auch Angebote, die inhaltlich nicht die ausgeschriebenen Leistungen erfüllen, sind zwingend auszuschließen. Diese strikte Bindung dient der Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, da kein Unternehmen durch formale Nachsicht bevorzugt werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass Gleichbehandlung ein tragendes Strukturprinzip des Vergaberechts ist (BVerfG, Beschluss vom 13. 06. 2006 – 2 BvR 167/02). Werden Ausschlussgründe missachtet, ist das Vergabeverfahren rechtswidrig und kann von unterlegenen Unternehmen erfolgreich angegriffen werden.

Preisprüfung und Aufklärungspflichten

Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Behandlung ungewöhnlich niedriger Angebote. § 60 VgV verpflichtet Auftraggeber, eine vertiefte Prüfung einzuleiten, sobald ein Angebot erheblich vom marktüblichen Preisniveau abweicht. Diese Vorschrift setzt Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU um und schützt sowohl den Auftraggeber vor unauskömmlichen Angeboten als auch die Wettbewerber vor unzulässiger Marktverdrängung. Der Auftraggeber muss den Bieter zur Aufklärung auffordern und dabei dessen Angaben ernsthaft prüfen. Erst wenn die Begründungen nicht plausibel sind, darf ein Ausschluss erfolgen. Der EuGH hat in der Rechtssache „Hochtief“ (C-300/17) entschieden, dass der Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote nur dann rechtmäßig ist, wenn der Auftraggeber die Begründungen sorgfältig und dokumentiert gewürdigt hat. Unterlässt er diese Prüfung, liegt ein schwerer Vergabefehler vor, der das gesamte Verfahren angreifbar macht.

Transparenzgebot und Dokumentationspflicht

Die Angebotsprüfung ist eng mit dem Transparenzgebot verbunden, das in § 97 Abs. 1 GWB sowie in Art. 18 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU normiert ist. Auftraggeber sind verpflichtet, sämtliche Prüfschritte nachvollziehbar zu dokumentieren. Dazu gehört insbesondere die Begründung von Ausschlüssen, die Bewertung von Preisen sowie die Gewichtung der Zuschlagskriterien. § 8 VgV schreibt vor, dass alle wesentlichen Entscheidungen aktenkundig zu machen sind. Unterbleibt eine ausreichende Dokumentation, kann das Nachprüfungsverfahren erfolgreich sein, selbst wenn die eigentliche Entscheidung inhaltlich korrekt war. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 08. 11. 2017 – VII-Verg 24/17) stellte klar, dass die Dokumentationspflicht kein bloßer Formalismus ist, sondern ein tragender Bestandteil des effektiven Rechtsschutzes. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie eine lückenhafte Dokumentation im Rahmen eines Nachprüfungsantrags erfolgreich rügen können.

Rechte der Unternehmen bei fehlerhafter Angebotsprüfung

Unternehmen haben bei fehlerhaften Prüfungen ein umfassendes Rechtsschutzinstrumentarium. Nach § 160 Abs. 1 GWB können sie ein Nachprüfungsverfahren bei der zuständigen Vergabekammer beantragen, wenn sie sich in ihren Rechten verletzt sehen. Voraussetzung ist, dass der behauptete Vergabeverstoß rechtzeitig gerügt wurde (§ 160 Abs. 3 GWB). Wird eine Angebotsprüfung rechtswidrig durchgeführt, etwa durch Nichtbeachtung von Ausschlussgründen oder durch unzureichende Begründung, besteht eine erhebliche Erfolgschance. Die Vergabekammer kann die Vergabestelle verpflichten, die Prüfung zu wiederholen oder die Ausschreibung aufzuheben. Der BGH (Beschluss vom 31. 01. 2017 – X ZB 10/16) hat bestätigt, dass Unternehmen einen subjektiven Anspruch auf fehlerfreie Angebotsprüfung haben. Dies stärkt den Rechtsschutz und gewährleistet die Effektivität des Binnenmarktes.

Risiken unzureichender Prüfungen für Auftraggeber

Für öffentliche Auftraggeber birgt eine fehlerhafte Angebotsprüfung erhebliche Risiken. Neben der Verzögerung des Vergabeverfahrens droht eine Aufhebung der Ausschreibung und im schlimmsten Fall eine Schadensersatzpflicht nach § 181 GWB. Unternehmen können Ersatz des entgangenen Gewinns geltend machen, wenn nachgewiesen wird, dass sie bei fehlerfreier Prüfung den Zuschlag erhalten hätten. Zudem kann eine unzureichende Prüfung reputationsschädigend wirken und das Vertrauen in die Vergabestelle untergraben. Auch haushaltsrechtlich drohen Konsequenzen, da nach § 7 BHO die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verletzt werden, wenn nicht das wirtschaftlichste Angebot ermittelt wird. Auftraggeber sind daher gehalten, die Angebotsprüfung nicht als formale Pflicht, sondern als zentrale Aufgabe ernst zu nehmen.

Fazit zur Juristische Bedeutung der Angebotsprüfung

Die Angebotsprüfung ist weit mehr als ein technischer Prüfschritt, sie bildet das Fundament eines rechtssicheren Vergabeverfahrens. Auftraggeber müssen die gesetzlichen Vorgaben konsequent beachten, Unternehmen sollten ihre Rechte aktiv wahrnehmen. Fehler in diesem Bereich führen unweigerlich zu Nachprüfungsverfahren und erheblichen wirtschaftlichen Schäden. Für Auftraggeber bedeutet dies, interne Verfahren zu professionalisieren, interdisziplinäre Expertise einzubeziehen und die Dokumentation lückenlos zu führen. Unternehmen wiederum sollten Angebote so strukturieren, dass sie einer strengen Prüfung standhalten, und im Fall fehlerhafter Bewertungen ihre Rechte frühzeitig geltend machen. Nur durch konsequente Beachtung der Angebotsprüfung kann der Zweck des Vergaberechts – fairer Wettbewerb und wirtschaftliche Mittelverwendung – verwirklicht werden. Jetzt beraten lassen und rechtliche Expertise für Ihre Vergabeverfahren sichern.

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FAQ zur Angebotsprüfung

    1. Was versteht man unter der Angebotsprüfung im Vergaberecht?

    Die Angebotsprüfung ist der Verfahrensschritt, in dem öffentliche Auftraggeber die eingereichten Angebote auf ihre Vollständigkeit, Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hin kontrollieren. Maßgeblich sind insbesondere § 56 VgV und Art. 56 Richtlinie 2014/24/EU. Dabei müssen sowohl formale Kriterien (z. B. Nachweise, Erklärungen) als auch materielle Aspekte (technische Eignung, Preisangemessenheit) überprüft werden. Ziel ist die Sicherstellung eines transparenten und diskriminierungsfreien Wettbewerbs. Ohne ordnungsgemäße Prüfung ist die Vergabeentscheidung angreifbar und rechtlich nicht haltbar.


    2. Welche Rolle spielt § 56 VgV bei der Angebotsprüfung?

    § 56 VgV regelt die Pflicht der Auftraggeber zur Angebotsprüfung und verpflichtet sie, die Angebote auf Vollständigkeit und Konformität mit den Vergabeunterlagen zu kontrollieren. Fehlende Unterlagen können nachgefordert werden, soweit kein zwingender Ausschlussgrund vorliegt. Diese Norm ist zentral, da sie den Prüfungsmaßstab vorgibt und zugleich die Grenzen des Nachforderungsrechts definiert. In Verbindung mit § 57 VgV ergibt sich ein klarer rechtlicher Rahmen, innerhalb dessen die Vergabestelle ihre Bewertung vorzunehmen hat.


    3. Wann muss ein Angebot zwingend ausgeschlossen werden?

    Ein Angebot ist zwingend auszuschließen, wenn es die in § 57 Abs. 1 VgV genannten Ausschlussgründe erfüllt. Dazu gehören unvollständige oder formwidrige Angebote, unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen sowie Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben. Auch Angebote, die nicht den Mindestanforderungen entsprechen, sind ohne Ermessensspielraum auszuschließen. Diese strikte Vorgabe schützt den Gleichbehandlungsgrundsatz und wurde durch die Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-19/00 „SIAC Construction“) bestätigt, die eine diskriminierungsfreie Bewertung aller Angebote fordert.


    4. Dürfen Auftraggeber fehlende Unterlagen nachfordern?

    Ja, nach § 56 Abs. 2 VgV dürfen Auftraggeber fehlende, unvollständige oder fehlerhafte Unterlagen nachfordern. Allerdings gilt dies nicht, wenn es sich um wesentliche Angebotsbestandteile handelt, die den Wettbewerb verfälschen könnten. Zwingende Ausschlussgründe nach § 57 VgV bleiben unberührt. Auftraggeber haben hier ein Ermessen, müssen dieses aber pflichtgemäß ausüben und ihre Entscheidung dokumentieren. Die Vergabekammern haben mehrfach betont, dass Nachforderungen nicht zu einer inhaltlichen Änderung des Angebots führen dürfen.


    5. Welche Bedeutung hat die Preisprüfung nach § 60 VgV?

    Die Preisprüfung nach § 60 VgV verpflichtet Auftraggeber, ungewöhnlich niedrige Angebote kritisch zu hinterfragen. Der Auftraggeber muss den Bieter zur Aufklärung auffordern und dessen Angaben sorgfältig prüfen. Nur wenn die Begründung nicht plausibel ist, darf das Angebot ausgeschlossen werden. Diese Regelung setzt Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU um und schützt sowohl Auftraggeber vor unauskömmlichen Angeboten als auch Wettbewerber vor Marktverdrängung. Der EuGH hat in Rs. C-300/17 „Hochtief“ die Pflicht zur dokumentierten Aufklärung bestätigt.


    6. Welche Folgen hat eine fehlerhafte Angebotsprüfung für Auftraggeber?

    Fehlerhafte Angebotsprüfungen können gravierende Folgen haben. Zum einen drohen Nachprüfungsverfahren nach § 160 GWB, die das Vergabeverfahren erheblich verzögern. Zum anderen können Auftraggeber schadensersatzpflichtig werden, wenn ein Unternehmen nachweisen kann, dass es bei rechtmäßiger Prüfung den Zuschlag erhalten hätte (§ 181 GWB). Zusätzlich können haushaltsrechtliche Konsequenzen eintreten, da Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 7 BHO) vorliegen. Nicht zuletzt schaden fehlerhafte Prüfungen der Reputation der Vergabestelle.


    7. Welche Rechte haben Unternehmen bei fehlerhafter Angebotsprüfung?

    Unternehmen können bei fehlerhafter Angebotsprüfung Rechtsschutz nach §§ 160 ff. GWB in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist eine rechtzeitige Rüge gegenüber der Vergabestelle (§ 160 Abs. 3 GWB). Wird diese nicht erhoben, ist der Nachprüfungsantrag unzulässig. Erfolgreiche Nachprüfungsverfahren können zu einer Wiederholung der Angebotsprüfung oder sogar zur Aufhebung der Ausschreibung führen. Die Vergabekammern und Vergabesenate der Oberlandesgerichte haben die Prüfpflichten der Auftraggeber mehrfach bekräftigt, sodass Unternehmen gute Chancen haben, ihre Rechte durchzusetzen.


    8. Welche Pflichten ergeben sich aus dem Transparenzgebot?

    Das Transparenzgebot verpflichtet Auftraggeber, sämtliche Prüfschritte nachvollziehbar zu dokumentieren. Rechtsgrundlage ist § 97 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 8 VgV sowie Art. 18 Richtlinie 2014/24/EU. Auftraggeber müssen insbesondere die Begründung von Ausschlüssen, die Bewertungskriterien und die Gewichtung dokumentieren. Eine unzureichende Dokumentation stellt bereits einen Vergabefehler dar, wie das OLG Düsseldorf (VII-Verg 24/17) klarstellte. Damit dient das Transparenzgebot nicht nur der Nachvollziehbarkeit, sondern auch dem effektiven Rechtsschutz der Unternehmen.


    9. Welche Unterschiede bestehen zwischen formaler und materieller Angebotsprüfung?

    Die formale Prüfung betrifft die Vollständigkeit und Ordnungsmäßigkeit der eingereichten Unterlagen. Hierzu zählen etwa die Einhaltung der Formvorgaben, die Abgabe aller geforderten Erklärungen und die Einhaltung der Fristen. Die materielle Prüfung geht tiefer und betrifft die inhaltliche Eignung des Angebots. Sie umfasst die Erfüllung der technischen Spezifikationen, die Wirtschaftlichkeit und die Preisangemessenheit. Beide Ebenen sind zwingend vorgeschrieben und bilden zusammen die Grundlage für eine rechtssichere Zuschlagsentscheidung.


    10. Welche Rolle spielt das EU-Recht bei der Angebotsprüfung?

    Das EU-Recht prägt die Angebotsprüfung maßgeblich. Die Richtlinie 2014/24/EU normiert in Art. 56 die Prüfpflichten der Auftraggeber und schreibt in Art. 69 die Behandlung ungewöhnlich niedriger Angebote vor. Diese Vorgaben sind für alle Mitgliedstaaten verbindlich und wurden durch die VgV in deutsches Recht umgesetzt. Der EuGH hat in zahlreichen Entscheidungen, etwa „SIAC Construction“ (C-19/00), betont, dass eine diskriminierungsfreie und transparente Angebotsprüfung unionsrechtlich geboten ist. Nationale Auftraggeber sind daher streng an EU-Recht gebunden.


    11. Dürfen Auftraggeber Angebote nachverhandeln?

    Grundsätzlich nein. Nach § 15 Abs. 5 VgV sind Nachverhandlungen über eingereichte Angebote unzulässig, da sie den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen würden. Zulässig sind lediglich Aufklärungsfragen, etwa im Rahmen der Preisprüfung nach § 60 VgV. Diese dürfen jedoch nicht zu einer inhaltlichen Änderung des Angebots führen. Auch der EuGH hat klargestellt, dass Nachverhandlungen die Transparenz und Fairness des Vergabeverfahrens untergraben würden (Rs. C-87/94 „Kommission/Belgien“).


    12. Welche Dokumentationspflichten bestehen bei der Angebotsprüfung?

    Nach § 8 VgV sind alle wesentlichen Entscheidungen und deren Begründungen aktenkundig zu machen. Dazu zählen insbesondere die Gründe für Ausschlüsse, die Bewertung der Angebote sowie die Zuschlagsentscheidung. Die Dokumentation dient nicht nur interner Nachvollziehbarkeit, sondern ist auch Voraussetzung für eine effektive Nachprüfung durch die Vergabekammer. Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass eine lückenhafte Dokumentation einen selbständigen Vergabefehler darstellt, selbst wenn die inhaltliche Entscheidung korrekt war (VII-Verg 24/17).


    13. Welche Rechtsfolgen haben ungewöhnlich niedrige Angebote?

    Ungewöhnlich niedrige Angebote müssen nach § 60 VgV in Verbindung mit Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU geprüft werden. Der Auftraggeber darf sie nur ausschließen, wenn die Aufklärung keine plausiblen Gründe ergibt. Bleibt die Prüfung aus, liegt ein Vergabefehler vor. Dies kann zu Nachprüfungsverfahren und Schadensersatzforderungen führen. Die Rechtsprechung betont, dass auch auffällig niedrige Angebote ernsthaft geprüft und nicht vorschnell ausgeschlossen werden dürfen. So wird der Wettbewerb geschützt, ohne Dumping-Angebote zu fördern.


    14. Welche Unterschiede bestehen zwischen zwingenden und fakultativen Ausschlussgründen?

    Zwingende Ausschlussgründe nach § 57 Abs. 1 VgV binden den Auftraggeber strikt und lassen keinen Ermessensspielraum. Fakultative Ausschlussgründe, etwa die Unzuverlässigkeit eines Bieters nach § 124 GWB, können nach pflichtgemäßem Ermessen angewandt werden. Auftraggeber müssen hier eine Abwägung treffen und ihre Entscheidung dokumentieren. Die Unterscheidung ist zentral, da sie bestimmt, ob der Auftraggeber gebunden ist oder eigenständig entscheiden darf. Fehler in dieser Differenzierung führen häufig zu erfolgreichen Nachprüfungsverfahren.


    15. Können Unternehmen die Angebotsprüfung einsehen?

    Unternehmen haben grundsätzlich einen Anspruch auf Einsicht in die Vergabeakte, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlich ist. Rechtsgrundlage ist § 165 Abs. 1 GWB. Allerdings sind Geschäftsgeheimnisse und vertrauliche Informationen anderer Bieter zu schützen. Die Vergabekammern prüfen regelmäßig, wie weit der Akteneinsichtsanspruch reicht. Ziel ist die Herstellung von Waffengleichheit im Nachprüfungsverfahren. Unternehmen können daher wesentliche Teile der Angebotsprüfung nachvollziehen, ohne dass Wettbewerbsgeheimnisse preisgegeben werden.


    16. Welche Rolle spielt das Wirtschaftlichkeitsgebot bei der Angebotsprüfung?

    Das Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet Auftraggeber, das wirtschaftlichste Angebot auszuwählen (§ 127 GWB, § 7 BHO). Dieses Prinzip durchzieht die gesamte Angebotsprüfung und verlangt, dass nicht nur der niedrigste Preis, sondern auch qualitative Kriterien berücksichtigt werden. Die Zuschlagskriterien müssen zuvor bekannt gemacht worden sein und sind verbindlich. Fehler bei der Anwendung führen zur Rechtswidrigkeit der Vergabeentscheidung. Damit ist das Wirtschaftlichkeitsgebot ein zentraler Prüfungsmaßstab in jedem Vergabeverfahren.


    17. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen gegen fehlerhafte Angebotsprüfung?

    Unternehmen können nach §§ 160 ff. GWB ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer einleiten. Voraussetzung ist eine rechtzeitige Rüge. Die Vergabekammer prüft, ob die Angebotsprüfung den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Gegen die Entscheidung der Kammer ist die sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht möglich (§ 171 GWB). Damit besteht ein zweistufiger Rechtsschutz. Dieser Mechanismus gewährleistet, dass fehlerhafte Prüfungen korrigiert werden können und der Wettbewerb geschützt bleibt.


    18. Können Bieter die Nachforderungspflicht erzwingen?

    Nein, Unternehmen haben keinen Anspruch darauf, dass Auftraggeber fehlende Unterlagen nachfordern. § 56 Abs. 2 VgV gewährt lediglich ein Ermessen, das pflichtgemäß auszuüben ist. Die Vergabestelle kann entscheiden, ob sie Unterlagen nachfordert oder das Angebot ausschließt. Diese Entscheidung ist nur eingeschränkt überprüfbar. Unternehmen können jedoch geltend machen, dass die Vergabestelle ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, etwa durch sachfremde Erwägungen oder willkürliche Ungleichbehandlung.


    19. Welche Rolle spielt die Rechtsprechung des EuGH für die Angebotsprüfung?

    Die Rechtsprechung des EuGH prägt die Angebotsprüfung entscheidend. Urteile wie „SIAC Construction“ (C-19/00) oder „Hochtief“ (C-300/17) konkretisieren die Pflichten der Auftraggeber und stärken den Rechtsschutz der Unternehmen. Der EuGH betont regelmäßig, dass Transparenz und Gleichbehandlung zentrale Maßstäbe sind, an denen jede Angebotsprüfung zu messen ist. Nationale Gerichte müssen diese Vorgaben beachten, sodass die EuGH-Rechtsprechung faktisch verbindlich wirkt und die Praxis maßgeblich beeinflusst.


    20. Welche Bedeutung hat die Angebotsprüfung für die Praxis?

    In der Praxis entscheidet die Qualität der Angebotsprüfung über die Rechtssicherheit und Effizienz des gesamten Vergabeverfahrens. Auftraggeber, die ihre Prüfpflichten vernachlässigen, riskieren Nachprüfungsverfahren, Schadensersatzforderungen und erhebliche Verzögerungen. Unternehmen wiederum können ihre Chancen verbessern, wenn sie die rechtlichen Maßstäbe kennen und Verstöße rechtzeitig rügen. Die Angebotsprüfung ist daher nicht nur ein rechtlicher Pflichtschritt, sondern ein strategischer Erfolgsfaktor im öffentlichen Auftragswesen.