Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht.
Grundlagen der Angemessenheit des Angebots im Vergabeverfahren
Die Angemessenheit des Angebots ist ein zentrales Kriterium im Vergaberecht, das sicherstellen soll, dass öffentliche Aufträge nur an Bieter vergeben werden, die ein inhaltlich, preislich und rechtlich vertretbares Angebot abgegeben haben. Sie umfasst sowohl den Preis als auch die Qualität der angebotenen Leistung. Rechtsgrundlagen finden sich in § 60 VgV, § 44 UVgO sowie § 16d VOB/A, die die Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote normieren. Darüber hinaus ergeben sich aus Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU unionsrechtliche Vorgaben. Auftraggeber sind verpflichtet, Angebote auf ihre Angemessenheit zu überprüfen, wenn sie den Verdacht haben, dass ein Preis ungewöhnlich niedrig oder eine Leistung qualitativ nicht realistisch erbracht werden kann. Ziel ist der Schutz der öffentlichen Hand vor wirtschaftlichen Risiken, aber auch der Schutz redlicher Bieter vor unfairem Wettbewerb.
Rechtliche Verankerung der Angemessenheitsprüfung
Die Prüfung der Angemessenheit eines Angebots ist rechtlich zwingend vorgeschrieben, wenn bestimmte Anhaltspunkte vorliegen. § 60 VgV bestimmt, dass Auftraggeber Bieter auffordern müssen, eine Preisprüfung vorzunehmen, wenn Angebote ungewöhnlich niedrig erscheinen. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung (u. a. Rs. C-599/10 „SAG ELV Slovensko“) betont, dass die Pflicht zur Aufklärung der Angemessenheit unmittelbar aus den unionsrechtlichen Grundsätzen von Transparenz und Gleichbehandlung folgt. Auftraggeber dürfen Angebote nicht vorschnell ausschließen, sondern müssen dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Diese Stellungnahme muss sorgfältig geprüft und dokumentiert werden. Nur wenn die Erklärung nicht überzeugt oder gegen zwingende Vorschriften verstößt, darf der Ausschluss erfolgen. Damit ist die Angemessenheitsprüfung ein Instrument zur Balance zwischen fairer Vergabe und dem Schutz der Auftraggeber vor unseriösen Angeboten.
Angemessenheit des Angebotspreises und ungewöhnlich niedrige Angebote
Besondere Bedeutung hat die Angemessenheit des Angebotspreises. § 60 Abs. 1 VgV verpflichtet Auftraggeber, Angebote auf ungewöhnlich niedrige Preise zu prüfen. Ein ungewöhnlich niedriger Preis liegt vor, wenn er im Vergleich zu anderen Angeboten oder zu Marktpreisen auffällig abweicht und Zweifel an der seriösen Leistungserbringung aufkommen. Der EuGH hat im Urteil „SAG ELV Slovensko“ klargestellt, dass der Auftraggeber eine objektive Prüfung vornehmen muss und nicht pauschal vom Preis abweichen darf. Die Angemessenheit wird regelmäßig durch eine schriftliche Erklärung des Bieters überprüft, in der dieser etwa niedrigere Produktionskosten, besondere Effizienz oder staatliche Förderungen plausibel machen kann. Erst wenn diese Erklärung nicht nachvollziehbar ist, darf ein Ausschluss erfolgen.
Angemessenheit bei qualitativen und technischen Angeboten
Die Angemessenheit betrifft nicht nur den Preis, sondern auch die qualitative und technische Machbarkeit der angebotenen Leistung. § 60 Abs. 2 VgV nennt ausdrücklich Aspekte wie die Einhaltung umweltrechtlicher, sozialer und arbeitsrechtlicher Verpflichtungen. Ein Angebot kann unangemessen sein, wenn es zwar preislich günstig, aber inhaltlich oder technisch nicht erfüllbar ist. So hat der BGH (Urteil vom 10.06.2008 – X ZR 78/07) entschieden, dass Auftraggeber Angebote ausschließen dürfen, die offensichtlich nicht realisierbar sind. In der Praxis bedeutet dies: Ein Bauunternehmen, das ein Projekt zu einem unrealistisch niedrigen Preis anbietet, muss nachweisen, wie es die Leistung dennoch in der geforderten Qualität erbringen kann. Andernfalls droht der Ausschluss wegen fehlender Angemessenheit.
EU-rechtliche Vorgaben zur Prüfung der Angemessenheit
Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU verpflichtet Mitgliedstaaten, ungewöhnlich niedrige Angebote systematisch zu prüfen. Die Richtlinie schreibt vor, dass Auftraggeber die betroffenen Bieter anhören und ihre Erklärungen objektiv bewerten müssen. Zudem wird betont, dass Angebote ausgeschlossen werden können, wenn sie gegen europäische Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrechtsnormen verstoßen. Der EuGH betont in ständiger Rechtsprechung, dass diese Prüfung nicht nur dem Schutz der Auftraggeber dient, sondern auch der Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Angemessenheitsprüfung kann daher zur Rechtswidrigkeit des gesamten Vergabeverfahrens führen. Unternehmen haben das Recht, eine nachvollziehbare und faire Prüfung ihrer Angebote einzufordern und können Rechtsmittel einlegen, wenn dies nicht geschieht.
Dokumentationspflichten bei der Prüfung der Angemessenheit
Die Dokumentation ist auch bei der Prüfung der Angemessenheit unverzichtbar. Auftraggeber müssen nach § 8 VgV und § 7 UVgO alle Erwägungen, die zur Feststellung der Angemessenheit geführt haben, schriftlich niederlegen. Dies umfasst die Aufforderung an den Bieter, seine Kalkulation zu erläutern, die eingereichten Erklärungen sowie die Bewertung durch die Vergabestelle. Der EuGH hat in mehreren Urteilen klargestellt, dass eine fehlende oder unzureichende Dokumentation gegen den Transparenzgrundsatz verstößt. Unternehmen haben Anspruch auf Einsicht in diese Dokumentation, soweit dies ihre Rechte berührt. Für die Praxis bedeutet dies, dass Auftraggeber sorgfältige Aktenführung betreiben müssen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidungen abzusichern und mögliche Nachprüfungsverfahren zu bestehen.
Folgen unangemessener Angebote für Auftraggeber
Für Auftraggeber ist die Angemessenheit des Angebots von zentraler Bedeutung, da die Zuschlagserteilung auf ein unangemessenes Angebot gravierende Folgen haben kann. Wird ein Auftrag an ein Unternehmen vergeben, das seine Leistung nicht zu den angebotenen Konditionen erbringen kann, drohen Bauverzögerungen, Vertragsstrafen und Nachforderungen. Zudem riskieren Auftraggeber Beanstandungen durch Vergabekammern oder Rechnungshöfe. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 13.02.2019 – Verg 24/18) hat betont, dass Auftraggeber bei Anzeichen für Unangemessenheit zwingend eine Prüfung durchführen müssen. Unterbleibt diese, ist das Verfahren rechtswidrig und kann aufgehoben werden. Auftraggeber sollten daher konsequent auf eine rechtssichere Angemessenheitsprüfung setzen.
Rechte der Unternehmen bei der Angemessenheitsprüfung
Unternehmen haben das Recht, dass ihre Angebote fair und objektiv geprüft werden. Wenn Auftraggeber Zweifel an der Angemessenheit äußern, müssen sie den betroffenen Bieter anhören und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 60 Abs. 1 Satz 2 VgV). Der EuGH (SAG ELV Slovensko) hat betont, dass Unternehmen nicht ohne rechtliches Gehör ausgeschlossen werden dürfen. Unternehmen können ihre Kalkulation durch Effizienzvorteile, Rabatte, Skaleneffekte oder andere legitime Gründe erläutern. Wird ihr Angebot dennoch ausgeschlossen, besteht die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten (§ 160 GWB). Damit schützt das Vergaberecht nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Rechte der Unternehmen im Wettbewerb.
Rechtsschutz bei fehlerhafter Angemessenheitsprüfung
Unternehmen können sich gegen eine fehlerhafte Angemessenheitsprüfung zur Wehr setzen. Oberhalb der EU-Schwellenwerte ist das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern nach §§ 155 ff. GWB eröffnet. Ein Unternehmen kann geltend machen, dass es zu Unrecht ausgeschlossen oder dass eine unzureichende Prüfung vorgenommen wurde. Unterhalb der Schwellenwerte besteht zwar kein formeller Rechtsschutz, doch sind zivilrechtliche Schadensersatzansprüche (§§ 280, 311 Abs. 2 BGB) möglich. Zudem können Aufsichtsbehörden eingeschaltet werden. Die Rechtsprechung zeigt, dass eine unterlassene oder unzureichende Angemessenheitsprüfung regelmäßig zur Aufhebung von Vergaben führt. Auftraggeber müssen daher äußerste Sorgfalt walten lassen.
Fazit: Angemessenheit als Garant fairer Vergaben
Die Angemessenheit des Angebots ist ein unverzichtbares Kriterium im Vergaberecht. Sie schützt Auftraggeber vor wirtschaftlichen Risiken, sichert die Rechte der Unternehmen und gewährleistet faire Wettbewerbsbedingungen. Rechtsgrundlagen wie § 60 VgV, § 44 UVgO, Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU sowie einschlägige Urteile des EuGH und BGH bilden das Fundament für eine rechtssichere Prüfung. Auftraggeber müssen sorgfältig prüfen und dokumentieren, Unternehmen haben Anspruch auf rechtliches Gehör und objektive Bewertung. Angesichts der rechtlichen Komplexität ist eine fundierte Beratung für Auftraggeber wie für Unternehmen entscheidend, um Risiken zu vermeiden und Chancen im Wettbewerb optimal zu nutzen.
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FAQ zur Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht
1. Was bedeutet die Angemessenheit des Angebots im Vergaberecht?
Die Angemessenheit des Angebots bezeichnet die rechtliche Pflicht des Auftraggebers, sicherzustellen, dass das Angebot eines Bieters sowohl preislich als auch inhaltlich realistisch und rechtlich zulässig ist. Sie dient dem Schutz der öffentlichen Hand vor unseriösen Angeboten und dem Schutz der Bieter vor unfairer Konkurrenz. Rechtsgrundlagen finden sich in § 60 VgV, § 44 UVgO und Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU. Ein Angebot gilt als unangemessen, wenn der Preis ungewöhnlich niedrig ist oder die Leistung objektiv nicht zu den angebotenen Konditionen erbracht werden kann. Auftraggeber müssen solche Angebote prüfen und dokumentieren, bevor sie sie ausschließen.
2. Welche Rechtsgrundlagen regeln die Angemessenheit des Angebots?
Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind § 60 VgV, § 44 UVgO, § 16d VOB/A sowie Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU. Diese Vorschriften verpflichten Auftraggeber, ungewöhnlich niedrige Angebote auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Ergänzend verpflichtet § 97 Abs. 2 GWB zur Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung. Der EuGH hat in mehreren Urteilen, darunter „SAG ELV Slovensko“ (C-599/10), klargestellt, dass Auftraggeber Bieter anhören müssen, bevor ein Ausschluss erfolgen darf. Damit ergibt sich aus dem Zusammenspiel nationaler und europäischer Vorschriften eine klare Prüfpflicht, die Auftraggeber weder ignorieren noch verkürzen dürfen.
3. Wann muss ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebots prüfen?
Eine Prüfung ist zwingend erforderlich, wenn ein Angebot im Verhältnis zu den anderen Angeboten oder zu den üblichen Marktpreisen ungewöhnlich niedrig erscheint (§ 60 Abs. 1 VgV). Auch qualitative Auffälligkeiten wie unrealistisch kurze Ausführungsfristen oder fehlende Kostenansätze lösen eine Prüfungspflicht aus. Der EuGH betont, dass Auftraggeber bereits bei Anhaltspunkten verpflichtet sind, eine Aufklärung einzuholen. Dies gilt unabhängig davon, ob andere Bieter eine Rüge erheben. Unterbleibt die Prüfung trotz bestehender Zweifel, ist das Vergabeverfahren rechtswidrig und im Nachprüfungsverfahren anfechtbar.
4. Welche Rolle spielt § 60 VgV bei der Angemessenheit des Angebots?
§ 60 VgV normiert die Pflicht zur Preisprüfung bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten im Oberschwellenbereich. Auftraggeber müssen den betroffenen Bieter auffordern, seine Kalkulation zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. Der Bieter kann z. B. auf niedrigere Produktionskosten, besondere Effizienz oder Förderungen verweisen. Der Auftraggeber muss diese Angaben objektiv prüfen und dokumentieren. Erst wenn die Erklärung nicht plausibel ist oder Verstöße gegen Rechtsnormen erkennbar sind, darf ein Ausschluss erfolgen. § 60 VgV setzt damit die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 69 Richtlinie 2014/24/EU um.
5. Was gilt für die Angemessenheit im Unterschwellenbereich nach UVgO?
Unterhalb der EU-Schwellenwerte regelt § 44 UVgO die Angemessenheitsprüfung. Inhaltlich entspricht die Vorschrift § 60 VgV, sodass auch im Unterschwellenbereich ungewöhnlich niedrige Angebote überprüft werden müssen. Allerdings besteht hier kein förmlicher Rechtsschutz vor den Vergabekammern. Unternehmen können jedoch Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen oder die Fachaufsicht einschalten. Damit besteht auch im nationalen Bereich ein effektives Schutzinstrument, das Auftraggeber verpflichtet, die Angemessenheit sorgfältig zu prüfen und Bieter nicht ohne rechtliches Gehör auszuschließen.
6. Wie prüft ein Auftraggeber die Angemessenheit des Angebotspreises?
Der Auftraggeber fordert den Bieter gemäß § 60 VgV auf, den niedrigen Preis schriftlich zu erklären. Zulässige Begründungen können etwa effiziente Produktionsprozesse, günstigere Einkaufskonditionen, besondere technische Lösungen oder staatliche Subventionen sein. Der Auftraggeber muss diese Angaben auf Plausibilität prüfen und dokumentieren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) verlangt, dass diese Prüfung objektiv und nachvollziehbar erfolgt. Bleiben die Zweifel bestehen oder sind die Erklärungen unzureichend, darf das Angebot ausgeschlossen werden. Eine pauschale Ablehnung ohne Prüfung ist unzulässig und rechtswidrig.
7. Was passiert, wenn ein Angebot unangemessen niedrig ist?
Erweist sich ein Angebot nach Prüfung als unangemessen niedrig und nicht tragfähig, darf der Auftraggeber es ausschließen (§ 60 Abs. 3 VgV). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Leistung bei den angegebenen Preisen nicht ordnungsgemäß erbracht werden kann oder gesetzliche Vorschriften verletzt würden. Der EuGH erlaubt den Ausschluss auch dann, wenn die Unangemessenheit auf Missachtung von Umwelt- oder Sozialstandards beruht. Der Ausschluss ist jedoch nur zulässig, wenn der Bieter zuvor rechtliches Gehör erhalten hat. Ohne Anhörung wäre der Ausschluss ein Verstoß gegen das Vergaberecht.
8. Welche Bedeutung hat das Urteil „SAG ELV Slovensko“ für die Angemessenheit?
In der Rechtssache C-599/10 „SAG ELV Slovensko“ stellte der EuGH klar, dass Auftraggeber bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten eine Aufklärungspflicht trifft. Sie müssen den betroffenen Bieter anhören und dessen Erklärungen objektiv prüfen. Ein Ausschluss ohne vorherige Anhörung verstößt gegen den Transparenzgrundsatz und die unionsrechtliche Gleichbehandlungspflicht. Dieses Urteil hat die Anforderungen an die Angemessenheitsprüfung verschärft und in Deutschland zur klaren Normierung in § 60 VgV geführt. Damit ist heute verbindlich geregelt, dass der Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote nur nach sorgfältiger Prüfung zulässig ist.
9. Welche Dokumentationspflichten bestehen bei der Angemessenheitsprüfung?
§ 8 VgV und § 7 UVgO verpflichten Auftraggeber, die Prüfung der Angemessenheit vollständig zu dokumentieren. Dies umfasst die Aufforderung an den Bieter, die vorgelegten Erklärungen, die Bewertung durch die Vergabestelle und die abschließende Entscheidung. Der BGH (X ZR 97/19) hat hervorgehoben, dass eine unzureichende Dokumentation die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gefährdet. Unternehmen haben Anspruch auf Einsicht in die Dokumentation, soweit dies zur Wahrung ihrer Rechte erforderlich ist. Eine lückenhafte Dokumentation macht das Vergabeverfahren angreifbar und kann zur Aufhebung durch die Vergabekammer führen.
10. Können qualitative Aspekte zur Unangemessenheit führen?
Ja, qualitative oder technische Aspekte können ebenfalls ein Angebot unangemessen machen. § 60 Abs. 2 VgV sieht ausdrücklich vor, dass Angebote ausgeschlossen werden können, wenn sie gegen geltende Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrechtsnormen verstoßen. Auch eine technisch unrealistische Leistungserbringung kann zur Unangemessenheit führen. Der BGH (X ZR 78/07) hat entschieden, dass Angebote ausgeschlossen werden dürfen, die objektiv nicht erfüllbar sind. Auftraggeber müssen daher nicht nur Preise, sondern auch die technische und qualitative Machbarkeit prüfen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie realistische und rechtlich einwandfreie Leistungen anbieten müssen.
11. Welche Rolle spielt die EU-Richtlinie 2014/24/EU?
Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU schreibt den Mitgliedstaaten verbindlich vor, ungewöhnlich niedrige Angebote zu prüfen. Sie betont die Pflicht zur Anhörung des betroffenen Bieters und nennt mögliche Gründe für niedrige Preise, wie effiziente Verfahren oder technische Lösungen. Gleichzeitig erlaubt sie den Ausschluss, wenn die Unangemessenheit auf Gesetzesverstößen beruht. Deutschland hat diese Vorgaben in § 60 VgV umgesetzt. Der EuGH überwacht die einheitliche Anwendung und stellt sicher, dass Bieter europaweit vergleichbaren Rechtsschutz genießen. Damit ist die Richtlinie der zentrale unionsrechtliche Rahmen für die Angemessenheitsprüfung.
12. Was passiert, wenn die Angemessenheit nicht geprüft wird?
Unterlässt ein Auftraggeber trotz Verdachts die Prüfung, liegt ein Verstoß gegen § 60 VgV und Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU vor. Dies macht die Zuschlagsentscheidung rechtswidrig und eröffnet unterlegenen Bietern die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten (§ 160 GWB). Das OLG Düsseldorf (Verg 24/18) hat klargestellt, dass eine unterlassene Prüfung zur Aufhebung der Vergabe führt. Auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche sind denkbar, wenn ein Unternehmen ohne Prüfung ausgeschlossen wurde. Auftraggeber sind daher verpflichtet, jeden Verdacht ernst zu nehmen und die Prüfung lückenlos durchzuführen.
13. Welche Rechte haben Unternehmen bei einer Angemessenheitsprüfung?
Unternehmen haben das Recht, angehört zu werden und ihre Preise zu erläutern, wenn Zweifel an der Angemessenheit bestehen. § 60 Abs. 1 Satz 2 VgV verpflichtet Auftraggeber, Bietern rechtliches Gehör zu gewähren. Der EuGH („SAG ELV Slovensko“) hat dies ausdrücklich bestätigt. Unternehmen können ihre Kalkulationen durch Effizienzvorteile, Skaleneffekte oder andere legitime Gründe erklären. Wird das Angebot dennoch ausgeschlossen, haben Unternehmen die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen und ein Nachprüfungsverfahren zu führen. Damit ist die Angemessenheitsprüfung ein Instrument, das nicht nur Auftraggeber, sondern auch die Rechte der Unternehmen schützt.
14. Dürfen Angebote allein wegen niedriger Preise ausgeschlossen werden?
Nein, ein Ausschluss allein aufgrund niedriger Preise ist unzulässig. Auftraggeber müssen dem betroffenen Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 60 Abs. 1 VgV). Der EuGH (C-599/10) betont, dass ein pauschaler Ausschluss ohne Anhörung gegen den Transparenzgrundsatz verstößt. Nur wenn die Erklärung unzureichend ist oder Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften bestehen, ist ein Ausschluss möglich. Niedrige Preise können also durchaus angemessen sein, wenn sie plausibel begründet werden. Auftraggeber dürfen Angebote daher nicht vorschnell ausschließen, sondern müssen stets eine objektive Prüfung vornehmen.
15. Welche Folgen hat ein Ausschluss wegen Unangemessenheit?
Ein Ausschluss wegen Unangemessenheit führt dazu, dass das betroffene Unternehmen nicht weiter am Verfahren teilnimmt. Dies ist rechtlich nur zulässig, wenn die Prüfung nach § 60 VgV ordnungsgemäß durchgeführt und dokumentiert wurde. Wird ein Unternehmen zu Unrecht ausgeschlossen, kann es ein Nachprüfungsverfahren anstrengen oder Schadensersatz geltend machen (§ 181 GWB). Der Ausschluss hat für Auftraggeber erhebliche Risiken, wenn er nicht rechtssicher erfolgt. Daher ist eine sorgfältige Prüfung und Begründung zwingend erforderlich. Unternehmen können ihre Rechte effektiv verteidigen, wenn der Ausschluss nicht auf einer plausiblen Grundlage beruht.
16. Welche Pflichten hat der Auftraggeber bei der Angemessenheitsprüfung?
Auftraggeber müssen nach § 60 VgV und § 44 UVgO alle Angebote auf ihre Angemessenheit prüfen, wenn Anzeichen für Unangemessenheit vorliegen. Sie sind verpflichtet, den betroffenen Bieter anzuhören, seine Erklärung objektiv zu bewerten und das Ergebnis zu dokumentieren. Zudem müssen sie prüfen, ob das Angebot gegen Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsrecht verstößt. Der EuGH betont, dass diese Pflichten unionsrechtlich verankert sind und nicht verkürzt werden dürfen. Unterlassen Auftraggeber diese Prüfung, riskieren sie nicht nur die Aufhebung des Verfahrens, sondern auch Beanstandungen durch Rechnungshöfe oder Aufsichtsbehörden.
17. Wie können Unternehmen gegen eine fehlerhafte Prüfung vorgehen?
Unternehmen können gegen eine fehlerhafte Prüfung oberhalb der Schwellenwerte ein Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB einleiten. Voraussetzung ist eine Rüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB innerhalb von zehn Tagen. Unterhalb der Schwellenwerte können Unternehmen Schadensersatz nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB geltend machen. Zudem können sie die Fachaufsicht einschalten. Die Rechtsprechung zeigt, dass fehlerhafte Prüfungen regelmäßig zur Aufhebung der Vergabe führen. Unternehmen sollten daher Verstöße frühzeitig rügen und notfalls rechtliche Schritte einleiten, um ihre Rechte zu sichern.
18. Welche Bedeutung hat die Lebenszykluskostenbetrachtung bei der Angemessenheit?
Die Lebenszykluskostenbetrachtung nach § 59 VgV ermöglicht es Auftraggebern, nicht nur den Anschaffungspreis, sondern auch Betriebskosten, Energieverbrauch und Entsorgungskosten zu berücksichtigen. Dies führt zu einer realistischen Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit eines Angebots. Ein Angebot kann unangemessen sein, wenn es zwar einen niedrigen Anschaffungspreis, aber extrem hohe Folgekosten verursacht. Der EuGH erlaubt ausdrücklich die Berücksichtigung solcher Kriterien, sofern sie mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Unternehmen sollten daher ihre Kalkulationen auch im Hinblick auf Lebenszykluskosten plausibel darlegen.
19. Welche Risiken bestehen für Auftraggeber bei Nichtbeachtung der Angemessenheit?
Wenn Auftraggeber die Angemessenheit nicht prüfen, riskieren sie die Rechtswidrigkeit der Vergabe. Unterlegene Bieter können ein Nachprüfungsverfahren einleiten, und Gerichte oder Vergabekammern heben die Vergabe regelmäßig auf. Zudem drohen Beanstandungen durch Rechnungshöfe, Schadensersatzforderungen (§ 181 GWB) und Verzögerungen bei der Projektdurchführung. Auch der Verlust von Fördermitteln ist möglich, wenn die Vergabevorschriften nicht eingehalten werden. Auftraggeber müssen daher die Angemessenheit sorgfältig prüfen und dokumentieren, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken zu vermeiden.
20. Warum ist die Angemessenheit des Angebots für Unternehmen wichtig?
Für Unternehmen ist die Angemessenheit entscheidend, weil sie sicherstellt, dass Wettbewerber keine unrealistischen Dumpingpreise anbieten können. Sie schützt vor unfairer Konkurrenz und gewährleistet faire Marktbedingungen. Unternehmen können sich darauf verlassen, dass Auftraggeber ungewöhnlich niedrige Angebote prüfen und unfaire Praktiken unterbinden. Gleichzeitig haben sie das Recht, ihre eigenen günstigen Preise plausibel zu erläutern und damit am Verfahren teilzunehmen. Die Angemessenheit ist somit ein Schutzinstrument für redliche Anbieter und ein zentrales Element des fairen Wettbewerbs im Vergaberecht.